Mendoza, Argentinien – Melipeuco, Chile

Vom Weihnachtsrummel in den Märchenwald

Kartoffel- und Nudelsalat mit Buletten, Kartoffelpuffer mit Apfelmus (deutsch-US-amerikanische Kooperation); Steaks und Würstchen vom Grill zu Kartoffelstampf, Schmorgemüse, Apple Crumble mit Vanillesoße (britisch-irische Kombination); Rindergulasch mit Semmelknödel und Rotkohl, Mousse au Chocolat (nord-ostdeutsche Kombination) – so sah unser überaus üppiges Weihnachtsmenü in Mendoza aus.

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Cyclemas in Mendoza: Zehn Radreisende finden sich in einem klimatisierten Appartement mit riesigem Wohnzimmer, großer Küche, zwei Schlafräumen und einer sonnigen Dachterrasse mit Grill zusammen, um Weihnachten in gemütlicher internationaler Runde zu zelebrieren. Darüber hinaus verfügt das Haus über eine große Garage, in der die Zweiräder der Radgemeinschaft ausreichend Platz finden und es existiert einer hervorragende Internetverbindung, um die Lieben in aller Welt zu kontaktieren. Was für ein Luxus! Wir alle verlassen diese vier Wände ausschließlich, um für Lebens- und Genussmittelnachschub zu sorgen. Der britisch-irische Weihnachtsmann bringt uns beiden einen Miniglobus, um die sichere Heimreise zu gewährleisten. An dieser Stelle ein treffendes Zitat von Ur-Sachse und heutigem Sauerland-Wissensvermittler Thomas: „Einfach nur ein gelungenes Weihnachtsfest, trotz der Ferne zur Heimat!“.

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Weihnachtsrummel der internationalen Radgemeinschaft in Mendoza

Mirko und ich genießen diese drei Tage in vollen Zügen: die angenehme Gesellschaft, herzhaftes Lachen, das viele und gute Essen, die relaxte Atmosphäre. Entsprechend schwer fällt der Abschied am 27. Dezember, als sich die Wege unserer Gemeinschaft wieder in die verschiedensten Richtungen zerstreuen – etwa eine Stunde stehen wir zur Abreise bereit vor dem Haus und tausend Dinge sind plötzlich noch zu besprechen. 🙂

Wie schon auf dem Weg nach Mendoza besteht unsere kleine Reisegemeinschaft aus drei Personen: Johannes, Mirko und Ina. Wir verlassen die für ihren Weinbau berühmte Stadt durch ihre südwestlich gelegenen Vororte auf einem super ausgebauten Radweg. Die letzten drei Nächte waren kurz und der Großeinkauf bei Walmart so herausfordernd, dass wir die Cafeteria des Großmarktes nach einem üppigen Mittagsimbiss für ein Nickerchen nutzen (müssen). Nach mehr als drei Stunden verlassen wir das Areal endlich Richtung Stausee Potrerillos, dessen Ufer wir spät am Abend erreichen. Dieser wunderbar natürliche Ort mit teilweise überschwemmten Ufern, großen schattenspendenden Bäumen, steil aufragenden Bergen an allen Seiten gefällt uns so gut, dass wir gleich noch einen Tag Pause einlegen. Schließlich sollte man*frau das Jahr ja besinnlich zu Ende gehen lassen.

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Am Stausee Potrerillos

Doch dann kommt unsere kampferprobte Radmuskulatur wieder richtig in Schwung und wir erklimmen entlang der Ruta 7 Tag für Tag die Höhenmeter hinauf zum Paso de la Cumbre oder auch Paso Internacional Los Libertadores . Die Strecke führt durch einige Tunnel(chen), parallel verläuft die ehemalige chilenisch-argentinische Bahnverbindung „Transandino“, die momentan jedoch nicht den Eindruck erweckt, jemals wieder in Betrieb genommen zu werden. Für den letzten hohen Pass (ca.3.900m) über die Anden zur Querung der argentinisch-chilenischen Grenze brauchen wir den gesamten Vormittag des 31. Dezember 2016. Die Steigungen auf 9,5km Länge, verteilt auf elf Haarnadelkurven haben es in sich, schließlich sind etwa 650 Höhenmeter zu überwinden. Am Paso Los Libertadores angekommen, rauchen wir zu dritt eine „Geschafft!“-Zigarette, bevor wir uns der abenteuerlichen Abfahrt über etwa 40 Kehrtwenden (Schotter und Asphalt) widmen – eine Carrera-Rennbahn ist ein Kinderspielchen dagegen.

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Ausblick vom Paso Los Libertadores

Am Ufer des Rio Aconcagua finden wir ein idyllisches Camp und lassen das Jahr 2016 geruhsam ausklingen. Johannes, der das letzte Silvester in Kolumbien gefeiert hatte, bringt uns einen dort üblichen Brauch bei: An einer selbstgebastelten Strohpuppe befestigen wir kleine Zettel, auf denen all die Dinge stehen, die wir gern im alten Jahr lassen möchten. Um Mitternacht wird diese Puppe mitsamt den Zetteln verbrannt. Nun passiert bei uns jedoch Folgendes: Es ist etwa 23.25Uhr, wir haben bereits ausgiebig über die Dinge auf unseren Zettelchen philosophiert, der Wein aus dem Tetra-Pak ist alle und wir sind nach dem anstrengenden Radtag ziemlich müde (schließlich gehen wir ja sonst viel früher in den Schlafsack). Tja, in den meisten Teilen der Welt ist bereits 2017, also was spielt eine halbe Stunde bei uns für eine Rolle?!? Wir entzünden kurzerhand die Puppe, fallen uns um den Hals, wünschen uns ein Frohes Neues Jahr und verschwinden in unseren Zelten… Willkommen in 2017!!!

Das neue Jahr beginnen wir mit einer viertägigen Pause in Santiago de Chile, wo wir es uns im Casa de Ciclista von Pedro gut gehen lassen. Nach Santiago de Chile gelangen wir von Los Andes aus nur über die Autobahn, der dazugehörige 3km lange Tunnel ist für Fahrräder gesperrt und wir sind auf eine Mitfahrgelegenheit im Pick-Up angewiesen, die sich bei einer Rastpause jedoch wie von selbst ergibt. Schnell sind unsere drei Drahtesel auf der Ladefläche verstaut, wir drei im Fond des Wagens ebenso und schwuppdiwupp steigen wir auch schon auf der anderen Seite des Tunnels aus dem Fahrzeug. Vielen Dank, Señor!

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Plaza de Armas, Santiago de Chile

Im Casa des Ciclista treffen wir Nicky und Philip wieder, denen wir schon einmal kurz in Ecuador begegnet waren. Santiago de Chile beeindruckt uns beide sehr: Es bietet ganz viel Grün (Bäume, Parks, Alleen), jede Menge Radwege, unzählige Hügel, Blicke auf die schneebedeckten Gipfel der Anden und mit Ausnahme von Downtown Santiago haben wir nie das Gefühl, in einer Großstadt unterwegs zu sein, sondern eher in vielen zusammenhängenden Kleinstädten. Wir lassen es uns selbstverständlich nicht nehmen, mit tausenden anderen Tourist*innen das Zentrum zu erkunden. Gleichzeitig nutzen wir die Gelegenheit, diverse Kleinigkeiten wie Regenjacke, Luftpumpe und Sattel mit Neuanschaffungen zu ersetzen. Shoppen, yeah!!! Das absolute Highlight unseres Aufenthaltes ist für mich jedoch der Star-Trek-Abend zu viert auf der Couch. Nur Nicky hat den Vorteil, schon ins Bett gegangen zu sein, die Glückliche!

In Santiago nehmen wir (vermutlich nur vorübergehend) Abschied von unserem Begleiter Johannes, der von Pässen noch nicht genug hat und nach einer weiteren Runde durch die Berge auch noch einen Abstecher an die Küste plant. Mit einem zünftigen Abschiedsessen – Kartoffelspalten, Sauerkraut und Bratwurst – krönen wir unsere gemeinsame Zeit. Mirko und ich hingegen entscheiden uns (definitiv vorübergehend) für ein anderes Transportmittel: Zug fehlt noch auf unserer Liste. Und so überbrücken wir am 07. Januar 2017 400km dicht besiedelte und entsprechend verkehrsreiche Region südlich von Santiago de Chile mit Tren Central. Böse Radfahrer-Zungen behaupten, wir sollten unseren nächsten Blog „Mit Bus und Zug um die Welt“ nennen. Die Räder sicher im Gepäckabteil verstaut, erproben wir im komfortablen Liegesitz unsere Schlaffähigkeit… mit dem Ergebnis: Ausgesprochen tauglich!

Während wir uns nun wieder täglich im Radfahren üben, bleibt uns das Grün aus Santiago erhalten und wird von Tag zu Tag, ja Stunde zu Stunde grüner und grüner. Wir sind froh, dass wir uns für die Weiterfahrt auf der chilenischen Seite der Anden entschlossen haben. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so viel Wald gesehen habe! Die Natur in Sur Chico zeigt sich wahrlich von ihrer prächtigsten Seite. Und auch die Menschen scheinen von einem warmherzigen Schlag zu sein: Da ist einmal der Ladenbesitzer, der sich wirklich ernsthaft Gedanken darüber macht, wie wir die Wassermelone auf dem Rad transportieren könnten, wenn wir doch so gern Obst essen und er nur diese riesigen, schweren Früchte im Angebot hat. Oder die Frau am nächsten Obststand, die mir anbietet, das Obst erst zu waschen, bevor wir es mitnehmen. Eine Frau auf dem Friedhof, die uns auf den Wasseranschluss mit Trinkwasser hinweist. Oder der Radfahrer in Yungay, der uns vor einer Irrfahrt bewahrt, indem er uns den richtigen Weg hinaus aus dem Ort erklärt.

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Am Lago Ralco

Seit mehr als einer Woche sind wir nun in chilenischer Wildnis unterwegs: riesige Bäume, gurgelnde Bäche, rauschende Flüsse, sprudelnde Wasserfälle, klare Seen, verkehrsarme Pfade, seltene Vögel, schillernde Kriechtiere, singende Pfadfinder*innen und lauschige Wildcamps säumen unseren Weg. Da kann schon mal ein übergroßes Glücksgefühl aufkommen, wenn sich frau am Ende eines anstrengenden Tages direkt am pittoresken Seeufer mit plätscherndem Bächlein in unmittelbarer Nähe nieder lässt, ein erfrischendes Bad im See auskostet, beim Abendessen grasende Kühe mit ihren Kälbern vorbei schlendern und die Nacht mit klarem Sternenhimmel und Mond über den Bergen hereinbricht.

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Ursprüngliche Natur pur

Doch das Radreisen durch „Wildnis“ hat auch seinen Preis und kann mitunter durchaus als Radwandern bezeichnet werden: Völlig unerwartet brauchen wir für die Strecke zwischen Ralco Lepoy und Contraco einen ganzen Tag. Wohlgemerkt handelt es sich hierbei um lediglich 21km! Fast die Hälfte der Strecke verbringen wir damit, unsere Räder jeweils zu zweit über ausgewaschene, steile Pfade nach oben zu hieven, wieder hinunter zu wandern und das nächste schwer bepackte Rad in die Hände zu nehmen. Schwer bepackt auch deshalb, weil die Lebensmittelbevorratung in „Wildnis“ ja wohlüberlegt sein will und so das ein oder andere Kilogramm zusätzlich mit uns wandert. Doch auch hier wartet am späten Nachmittag ein Fluss auf uns, der Rio Llanquén, um die Staub- und Schweißkruste von den geschundenen Körpern zu waschen. Gepaart mit einem Erdnussbutter-Brötchen und Malzkaffee macht beides die Strapazen vergessen.

Araukanien – Märchenwald. Diese märchenhaften Bäume Namens Araukarien werden hier wegen ihrer Form auch gern als Paraguas, Regenschirme, bezeichnet. Bei der Durchquerung des Reserva Nacional Malalcahuello erwarten uns tausende dieser immer grünen Baumriesen. In Kombination mit dem Blick auf den Vulkan Lonquimay (2.865m) ist diese straffe – mit 3 „F“ – Strecke ein Erlebnis der besonderen Art, wie in einer anderen Welt, märchenhaft eben! Je weiter südlich wir in die IX. Region Chiles vordringen, um so bunter wird die Landschaft. Entlang eines auf ehemaliger Bahnstrecke verlaufenden Radweges wechseln sich rote, rosa, weiße, gelbe, lila und orange Blüten ab – ein Fest für die Seele!

In Manchuria versuchen wir mit einem Fest für unsere Mägen den Appetit auf Kaffee, heiße Schokolade und Kuchen im Hotel „Andenrose“ zu stillen, doch leider teilt uns der Besitzer in feinstem Bayrisch mit, dass das Restaurant nur abends geöffnet hat. Zum Glück haben wir Reserve-Kekse im Gepäck, deren Kalorien uns noch bis zum Rio Captrén kurz vor dem Nordeingang des Parque Nacional Conguillío bringen. 😀

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Vulkan Llaima (3.125m)

Der Nationalpark mit der gleichnamigen Lagune Conguillío bedeuten in Mapudungun, der Sprache der Mapuche-Indianer, Wasser mit Pinienkernen. Für uns bietet der Park eine breite Palette an Abenteuern: einspurige Hohlwege, dramatische Lavafelder, dichten Wald, kühle Lagunen, sandige Fahrwege, die in allen Farben des Regenbogens schillernde Laguna Arcoiris. Blöd nur, dass auch die Chilen*innen das Wochenende vor allem im Sommer gern in der Natur verbringen und der Park entsprechend überbevölkert ist. Das größte Abenteuer besteht für uns daher im Aushalten des staubigen und teilweise unbedachten Tourist*innen-Verkehrs auf engstem Raum. Entgegen unserer Pläne, zwei Nächte im Nationalpark zu verbringen, ergreifen wir noch am gleichen Tag die Flucht und erfreuen uns der angenehmen Ruhe und Beschaulichkeit des Wildzeltens in einem kleinen Wäldchen gleich hinter dem Südausgang.

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Laguna Arcoiris

Nach all diesen Erlebnissen gönnen wir uns einen freien Tag und vor allem eine warme Dusche im Centro Turístico „Los Pioneros“ von Melipeuco, bevor wir durch das Hinterland weiter ins großflächige Seengebiet tingeln werden… wir werden wohl erst über den Paso Hua Hum wieder nach Argentinien wechseln. Doch wer weiß, was die kommenden Wochen an Überraschungen und kurzfristigen Planänderungen für uns bereit halten…

Gesamtkilometer: 33.116km

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4 Gedanken zu „Mendoza, Argentinien – Melipeuco, Chile“

  1. Hallo ihr Beiden. Wieder so ein toller Bericht und herrliche Bilder von unserer wunderschönen Erde. Danke ,das wir auf diese Art so viel von der Welt „sehen“ dürfen. Es ist auch immer wieder erstaunlich wieviele Weltenbummler es gibt und wie wohlgesonnen die meisten Menschen den Reisenden gegenüber sind. Wir wünschen Euch eine gute Weiterreise und freuen uns schon aufs nächste skypen. Bis dahin machts gut und immer genug Luft auf den Reifen. Es umarmen Euch Balazs und Kristina.

  2. geiler scheiss! aber die weihnachts-bouletten waren schon ein wenig verbrannt, oder sieht das nur auf dem bild so aus? star trek abende hätte ihr auch hier haben können, da muss man nicht um die halbe welt semmeln 😉 und in sachen gepäck könnt ihr bald vielleicht ja die warmen sachen weglassen, dann gehts auch auf steinigen wegen schneller….vg und weiterhin alles gute, der officer, der noch darauf hinweisen möchte, dass

      1. na gut, siehe link: der derzeitige trump-favorit auf den posten als EU botschafter will helfen die EU zu zerstören….das ist doch mal eine ansage….also beeilt euch, wenn ihr nochmal mit euro was bezahlen wollt einmal rum seid…..vg und kopf hoch, andré

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