Melipeuco, Chile – Coyhaique, Chile

„Da muss man weiterfahren!“

Wie neuerdings üblich ist es spät, als wir unsere Packesel packen und uns in die blaugrüne Seenplatte Chiles stürzen. Bei feinstem Kaiserwetter und radschonendem Asphalt genießen wir die Tour Richtung Villarica. Zunehmend treffen wir immer mehr Radreisende auf unseren Wegen, wie zum Beispiel den Chilenen Pablo, der uns ein Stück weit bis zu einem kleinen und ausnahmsweise sehr günstigem, noch dazu idyllisch gelegenen Campingplatz begleitet, wo sich unsere Wege auch schon wieder trennen. Die meisten Radler,die wir treffen sind allerdings „Ferienradler“, die auf der Seenplatte ihren Jahresurlaub verbringen. Wir ahnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dies erst der Anfang der endlosen Touristenkolonnen sind, die uns noch begegnen werden.

Spätestens in Villarrica wird uns eindringlich bewusst, dass Hochsaison ist. Tausenden von Kleinbussen, Pick-up-Trucks und Caravans schießen mehr oder weniger kontrolliert über die Strassen, was auf den Schotterabschnitten zu gefährlich herum fliegenden Steinen und einer dicken „Staubpannade“ auf unseren von den kurzen knackigen Anstiegen schwitzenden Körpern führt. Orte wie Villarrica platzen aus allen Nähten und an den Stränden macht die Dichte der sich in der Sonne wälzenden Menschenleiber Palma de Mallorca oder einer Robbenkolonnie gebührend Konkurrenz. Für uns heisst es an diesen Orten „Augen zu und durch“ und bitte nicht vergessen zu klingeln, zu fluchen und unanständig zu gestikulieren.

P1190003

Strand in Villarrica

 

Es ist entsprechend schwierig ein schönes Wildcamp oder gar einen günstigen Zeltplatz zu finden. Doch zum Glück gibt es auch Typen, die nicht nur auf den schnellen Dollar aus sind und sich für Reisende interessieren. So offeriert uns der Campingplatzbesitzer Marcelo nach einem netten Plausch am Strassenrand eine Übernachtung auf seinem Camping Molco Beach zum halben Preis und das in der Hochsaison. Vielen Dank!

Über Stock und Stein wühlen wir uns weiter durch die doch so wunderschöne Landschaft aus tiefblauen Seen, immergrünen Wäldern, murmelnden Bächen und glasklaren Flüssen bis nach Coñaripe, wo wir unser Zelt am Strand aufschlagen dürfen. Die Strecke bis nach Puerto Fuy ist glücklicherweise weniger befahren und vielleicht deswegen besonders idyllisch. Auch das Wetter hält zu uns, jeden Tag serviert es uns Sonne satt. So macht Rad fahren Spass! In Puerto Fuy wechseln wir kurz das Verkehrsmittel und schippern zur Abwechslung mit der Fähre über den fjordähnlichen Lago Pirihueico. Leider ist die Preisgestaltung der Fährbetreiber weder logisch noch gerecht. Während umgerechnet nur 1,50€ pro Person anfallen, werden wir für die beiden Räder mit zusammen über 10€ zur Kasse gebeten. What the f***? Aber selber Schuld, vorher informiert hätten wir sicher einen netten Pick-up-Fahrer gefunden und unsere Räder für die Überfahrt mal eben auf die Ladefläche geworfen.

P1220009

Fähre über den Lago Pirihueico

 

Vom Lago Pirihueico sind es nur noch wenige Kilometer bis zur argentinischen Grenze. Der Grenzübertritt ist wie gewohnt freundlich, unkompliziert und innerhalb weniger Minuten erledigt. Argentinien heisst uns kurz hinter der Grenze freundlicherweise gleich mit einem „Camping Libre“, direkt am Lago Nonthué gelegen, willkommen. Ab dem in direkter Nachbarschaft gelegene See Lacár wird es wieder touristischer, denn auch die Argentinier frönen an den Seen ausgiebig ihrer Angel- und Campingleidenschaft. Außerdem beginnt in dem am Ostufer des Sees gelegenen Städtchen San Martin de los Ande, die sogenannte „Sieben-Seen-Route“. Die „Ruta de los Siete Lagos“ ist eine etwa 200km lange Reiseroute in der Provinz Neuquén, die San Martin de los Andes mit San Carlos de Bariloche verbindet. Die Route führt sowohl durch den Lanin-Nationalpark als auch durch den Nahuel Huapí-Nationalpark, vorbei an den Seen Machónico, Hermoso, Villarino, Falkner, Correntoso, Espejo und Nahuel Huapí.

Wir benötigen drei entspannte und genussvolle Tage für diesen Streckenabschnitt. Wie wir bereits vorab erfahren hatten, zeichnen sich die argentinischen Autofahrer nicht gerade durch eine rücksichtsvolle Fahrweise aus. Es wird gehupt, gedrängelt und abgedrängt, was das Zeug hält. Und nebenbei wird auch noch freundlich gegrüßt während dem Radler einen neue Staubschicht verpasst wird. Unsere Freundlichkeit hält sich in diesen Tagen in Grenzen. Gerechterweise sei gesagt: die tollen Ausblicke auf die charakteristischen Landschaften Nordpatagoniens und die freien Campingplätze an den lauschigsten Plätzchen stehen ganz klar auf der Haben-Seite.

 

P1250051

An der Sieben-Seen-Route

Übrigens geht der Name Patagonien vermutlich auf den Riesen Pathagón aus den Novelas de Caballería hervor, einer jener Ritterromane, welche die Grundlage für Miguel de Cervantes´ Parodie Don Quixote de la Mancha bilden. Der Kreis schließt sich. 😉

In Bariloche gibt es für uns nur wenig Interessantes, wir befriedigen lediglich unser Vernetzungsbedürfnis garniert mit leckerer Eiscreme und füllen unsere Vorratstaschen auf. Voll bepackt geht es also weiter durch traumhafte Landschaften, die südlich von Bariloche etwas weniger frequentiert sind, zumindest bis wir den vermeintlichen Hippie-Ort El Bolsón erreichen. Doch für uns hat der Ort nur wenig hippiehaftes an sich: Restaurants, Hostels und Cafes reihen sich aneinander wie in jedem anderen Touristenort und im zentralen Park sieht man vor lauter Menschenmassen nur hier und da ein Stückchen grüne Wiese durchscheinen.

Südlich von El Bolsón liegt hingegen der schöne Parque Nacional los Alerces. Hier frönen wir dem fröhlichen Nichtstun, während Ina ganz nebenbei über 130 Löcher in ihre Schlafmatte sticht. Das hat natürlich einen triftigen Grund: In den letzen Tagen hatte sich die Verklebung in der Matratze gelöst und einen formschöne fussballgroße Beule ausgebildet. Leider schläft es sich gewissermaßen recht unangenehm darauf und eine Reparatur ist mehr als notwendig, zumal sich eine Matratze nicht eben „um die Ecke“ finden lässt. Während Mirko also die kleinen Wellenkrönchen auf dem Wasser zählt und am Abend ein zünftiges Lagerfeuer startet, arbeitet Ina intensiv an ihrer Isomatte, die nun von den bereits erwähnten wunderschönen kleinen Näharbeiten verziert wird.

P2010163

Entspannung am Lago Futalaufquen

Einiger Undichtigkeiten an Inas Matratze trotzend, reisen wir weiter durch die verschwenderische Natur Argentinisch-Patagoniens Richtung chilenische Grenze. Der Übergang an dem kleinen Grenzposten ist wieder kurz und diesmal mit deutschen Sprachschatz des Zollbeamten gewürzt. Weitergeleitet zur Zollkontrolle werden wir vom entsprechenden Mitarbeiter, der ohne Probleme die Rolle des Alm-Öhi in einem Heidi-Film hätte übernehmen können, mit dem Worten entlassen: „Mit dem Fahrrad? Da muss man weiterfahren!“. Wir gucken nicht schlecht und erfahren auf Nachfrage, dass die deutsche Sprache bei den Nachfahren der vielen deutschen Auswanderer in dieser Gegend durchaus noch gepflegt wird… anscheinend auch die Bartkultur. Mit dem Heidi-Titelsong im Kopf radeln wir über das Rafting-El Dorado Futaleufú (ich habe mehrere Anläufe gebraucht um diesen Namen angemessen flüssig schwungvoll aussprechen zu können) nach Villa Santa Lucia, wo wir bei Sonnenschein die unter Motorrad- und Radfahrern fast schon legendäre Carretera Austral erreichen.

P2060075

Kapelle in Santa Lucia

Sonnenschein ist an der 1.200km langen, größtenteils unbefestigten Carretera Austral eher ein Seltenheit denn die Regel, was allerdings die schöne Staubpannade auf Körper und Rad ruiniert. Als Ersatz gibt es feuchtkaltes Körperklima perfekt gepaart mit dem immer kräftig pustenden patagonischen Wind.

Die Landschaft nimmt an Dramatik zu, als die ersten Gletscher am Horizont auftauchen, sich die Piste durch den üppigen, teilweise unberührten valdivianischen Regenwald zwischen idyllischen Fjorden hinauf und hinunter schlängelt – eine Augenweide selbst bei bewölktem Himmel. Auf unseren Weg nach Süden treffen wir unverhofft auf alten Bekannte. Dagmar und Manfred aus Deutschland, unterwegs mit einem Toyota Hilux, haben es nach 14 Monaten endlich geschafft uns einzuholen. Wir hatten uns zuletzt in Mexiko getroffen und anschließend gegenseitig denjeweiligen Reisefortschritt verfolgt. Wir krönen die Wiedersehensfreude mit einer campingtypischen Mahlzeit: mit brauner Zwiebel angereicherter Kartoffelbrei, gerahmt von einem charmanten chilenischen Wein aus dem Tetrapack.

P2080107

Overlander unter sich

Gestärkt und leicht alkoholgeschwängert machen wir uns auf die Weiterreise nach Coyhaique, die letzte größere Ansiedlung auf dem Weg ins dünn besiedelte Südpatagonien. Die Tour wird zur Zitterpartie als zeitgleich an beiden Rädern die in Trujillo, Peru erstandenen Reifen ihren Geist aufgeben und sich tiefen Risse an der Seitenflanke auftuen. Doch auch hier kann Ina mit Ihrer schier unerschöpflichen Kreativität und Näherfahrung punkten. Mit – !Achtung Tip!- Zahnseide werden die Seiten im fachfraulichen Kreuzstich (man mag gar nicht repariert schreiben) …runderneuert. Inas Kommentar: Vierte Klasse Nadelarbeit hat sich gelohnt. – Danke, Frau Hetz!

DSCF1052

Da kann Mann nur staunen!

So gerüstet erreichen wir sicher die Stadt Coyhaique die glücklicherweise auch mit mehreren Radläden und guter Internetverbindung glänzen kann. Genug Möglichkeiten die freien Tage mit sinnvollen Tätigkeiten wie Blogupdate, Reifenwechsel, Wäsche und interessanten Begegnungen aufzuwerten.

Vor uns liegen nun die letzten einsamen Kilometer bis zum großen Südpatagonisches Eisfeld und das Ende unserer Reise auf dem großen amerikanischen Kontinent. Wir sind gespannt und werden Euch natürlich auf dem Laufenden halten. Bis bald!

gefahrene Gesamtstrecke: 34.545km

zur Bildergalerie

2 Gedanken zu „Melipeuco, Chile – Coyhaique, Chile“

  1. Sehr schöner Bericht. Besonders angetan bin ich von eurem Einstieg ins Werbe-Business 🙂
    Weiter so und viele Preisnachlässe auf eurem weiteren Weg.

  2. Hey ihr Beiden…
    Wir warten hier die ganze Zeit auf euch bzw. drehen uns beim Radeln ständig um und schauen, wo ihr seid… Wollt ihr uns nicht einholen?! 🙂
    Wir haben Manfred und Dagmar hier in Rio Grande getroffen 🙂 Echt witzig und eine sehr gute Leistung von euch (Auto vs. Rad!) 🙂
    Beste Grüße von den Muttons und hoffentlich besseres Wetter!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert