Ulanbataar, Mongolei – Limbach-Oberfrohna, Deutschland

Die letzten Meter

Am frühen Morgen des 12. Oktober 2023 steigen wir im nächtlichen Ulanbataar in ein Großraumtaxi, das uns zum 50km entfernt liegenden Chinggis Khaan International Airport bringt. Zum Glück haben wir uns für die Taxifahrt mitsamt Radkartons und Großgepäck entschieden, …

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… hatten wir doch darüber nachgedacht, die vermeintlichen 15km am Tag vor dem Abflug mit dem Rad zurück zu legen, all unser Hab und Gut erst am Flughafen zu verpacken und am Flughafen zu nächtigen. Doch dabei hatten wir wohl übersehen, dass es sich dabei um den ehemaligen Internationalen Flughafen handelt und die Entfernung mehr als dreifach soweit ist.

Unser Taxifahrer entpuppt sich als ehemaliger Gewichtheber, der 1980 als damals 19jähriger Sportler in Berlin zu Gast war. Genau dorthin verschlägt es auch uns nach einer insgesamt 16stündigen Flugreise via Istanbul. Unversehrt nehmen wir am BER, dessen Geschichte der des Chinggis Khaan International Airport (2021) ähnelt, Räder und Gepäck in Empfang.

In Berlin haben wir uns bei Nic & Sophie eingeladen. Und da es viel zu erzählen gibt, haben wir durch die Zeitverschiebung am Ende des Abends einen 24-Stunden-Tag hinter uns und dementsprechend dicke Bretter vor dem Kopf, als wir uns endlich in unsere Schlafsäcke kuscheln. Den kommenden Tag gehen wir entspannt an, frühstücken gemütlich, setzen die Räder wieder zusammen, restrukturieren die Gepäcktaschen vom Flug- zum Radmodus, füllen unsere Lebensmittelvorräte für die Weiterfahrt auf. Nach einem weiteren gemeinsamen Nachmittag und einem schon traditionellen Kochevent am Abend mit den beiden Berliner Gören beginnen wir am 14. Oktober unsere letzte Reiseetappe, denn wir möchten gern schön langsam wieder zu Hause ankommen. Etwa 300km durch viel Grün hatte ich uns bereits vor einigen Wochen als Wiedereingliederungsmaßnahme zusammen geklickt.

Schon die Hauptstadt überrascht uns nicht nur mit ihren Radwegen, sondern mit einer breiten Radspur „Unter den Linden“ auf dem Weg zum Brandenburger Tor. Über Tiergarten und Charlottenburg gelangen wir in den Grundwald – fast schmerzen uns die Augen nach der weiten Steppenlandschaft der Mongolei von so viel üppigem Grün. Es riecht nach Laubwald, Herbst, Heimat. Fantastisch! Die erste Nacht verbringen wir wild campend am Ufer des Schwielowsees auf dem einzigen Fleckchen Wiese, das wir in der bereits einbrechenden Dämmerung noch finden können. Doch der nächste Tag ist ein Sonntag und so kommt die erste Spaziergängerin am Morgen erst vorbei, als wir uns bereits auf die Räder schwingen.

Die zweite Überraschung heißt, dass ich die Route unbeabsichtigt entlang des Fernradweges R1 geplant habe, der von Russland nach Großbritannien führt. Damit genießen wir eine hervorragend beschilderte Strecke, beste Radbedingungen und diverse Sehenswürdigkeiten am Wegesrand. So z.B. die Beelitzer Heilstätten, ein denkmalgeschütztes Gelände mit etwa 60 Gebäuden, das im 20. Jahrhundert als Lungenheilanstalt genutzt wurde.

Wollte ich schon seit einigen Jahren gern mal durch den Fläming pedalieren, habe ich mir aus Versehen auch diesen Wunsch mit meiner Streckenführung erfüllt. Ein Hochgenuss, durch Wald und Wiese zu radeln, auch wenn wir bei bewölktem Himmel und frischem Wind unterwegs sind und uns der Jetlag auch nach drei Tagen noch zu schaffen macht. Die Dörfer am Wegesrand sind geprägt von mittelalterlichen Feldsteinkirchen, typisch für die Region.

Der Herbsteinzug hält uns nicht davon ab, noch am Abend bis Lutherstadt Wittenberg, die Wiege der Reformation, zu rollen. Für die Nacht mieten wir uns in in der Pension „Zur Elbe“ ein, verdrücken im“Il Castello“ direkt am Markt eine köstliche Pizza und genießen eine wunderbar heiße Dusche am Abend und ein köstliches Frühstück bei Familie Roloff. Rundum aufgetankt spazieren wir am Vormittag durch die geschichtsträchtige Altstadt – Schlosskirche, Lutherhaus, Cranach-Hof, Melanchton-Haus, Markt, Rathaus – bevor wir uns wieder gen Süden in Bewegung setzen.

Hier erwartet uns die Dübener Heide, ebenfalls ein Punkt auf meiner Reisewunschliste. Am Bergwitzsee vorbei verlassen wir den R1, radeln stattdessen weiter auf dem RBL, der Radroute Berlin-Leipzig. In der Dübener Heide geht es zu Anfang kreuz und quer über teilweise wildes Terrain. Warum? Na weil wir abkürzen wollten! Dann beginnt es auch noch zu regnen! Zum Glück sind wir gerade an der Siebenarmsäule angekommen, an der sich ein überdachter Rastplatz befindet. Kekse haben wir auch noch im Gepäck… und bis ich meine Regenmontur übergeworfen habe, ist der Regenguss grundsätzlich sowieso vorbei. Klappt auch dieses Mal…

In Bad Düben queren wir den Mulderadweg, schwelgen in Erinnerungen an den letzten Sommer, als wir hier mit meinem Neffen per Fahrrad unterwegs waren. Ein letztes Mal für diese Tour schlagen wir unser Zelt heute Abend in der Notscher Heide auf, ein letztes Mal werfen wir den Kocher für das Abendessen an.

Ein letztes Mal frühstücken wir mit klammen Händen im Licht der sich langsam durch den Morgennebel schälenden Sonne. Durch Wald und kleine Dörfer radeln wir in Nordsachsen bis wir bereits nach 15km in Gottscheina Leipziger Stadtgebiet erreichen. Entlang der Parthe rollen wir ins Gewerbegebiet Berliner Brücke, um unserem Mitreisenden René einen Überraschungsbesuch an seinem Arbeitsplatz abzustatten. Sein Gesichtsausdruck bei unserem Eintreffen – er schaut hin, schaut weg, schaut mit breitem Grinsen wieder hin – hat den Abstecher schon lohnenswert gemacht!

Wir runden den Aufenthalt in Leipzig mit Kaffee & Kuchen im Café Central in der Altstadt ab, bevor wir uns auf den Weg nach Markkleeberg machen. Hier haben wir uns für eine Nacht bei Freunden eingeladen, quasi als Dankeschön für die eifrige, wissbegierige und bereichernde Blog-Kommentation durch Mr. Bird. Dieser Aufenthalt ist turbulent, herzhaft und viel zu schnell vorbei, da wir ja mitten in den Familienalltag hinein schneien.

Auch am letzten Radtag stehen zwei weitere Besuche auf unserem Programm: in Böhlen mit Jule stoßen wir nachträglich auf ihren Geburtstag an, in L.O. dürfen uns Mirkos Eltern spontan zum Abendbrot verköstigen. Dazwischen machen wir die Bekanntschaft eines überaus wichtig zu nehmenden Polizeibeamten im Landkreis Leipziger Land. Seine Sorge um unser Wohlergehen ist ähnlich groß wie das chinesischer Sicherheitsbeamter. Er verweist uns in einer Art und Weise auf den straßenbegleitenden Radweg entlang der B2, die nur mit viel Wohlwollen als freundlich zu bezeichnen ist. Natürlich nur zu unserer Sicherheit! Unserer Erklärung, dass die Beschilderung aufgrund der Baustelle fehlte und wir soeben dabei sind, auf den Radweg zurück zu kehren, schenkt er keine Beachtung. Sein vorbereiteter Monolog inklusive der Androhung eines Verwarnungsgeldes scheint ihm wichtiger. Willkommen in Deutschland!

Das Willkommen unserer Nachbarn hingegen fällt um Weiten überwältigender aus. Ein großes Plakat wartet an unserer Einfahrt auf uns. Vielen Dank an Euch für die gelungene Überraschung!

Den ersten Tag nach der Reise verbringen wir damit, unser Zuhause mit einer Herbstputzaktion von Oben bis Unten auf den Kopf zu stellen – jede Menge unerwünschte Mitbewohner*innen hatten sich in unserer Abwesenheit eingenistet, der Staub hatte 172 Tage Zeit, sich in alle Ecken und Winkel zu setzen. Nun ist alles wieder hübsch und zum Wohlfühlen, wenn die Reise nun auch vorbei ist. Doch wie jedes Mal haben wir schon einige Ideen in unseren Köpfen, welches Fleckchen Erde wir noch unter die Räder nehmen könnten …

Zu guter Letzt serviere ich hier noch die Gesamtstatistik für alle unter Euch, die ähnlich zahlenaffin sind wie ich:

Strecke: 8.478km …

… 8 Platten, 1 kaputter Radständer, 1 zerschlissene Radhose, 4 Stürze, 1 gebrochene Speiche, 2 gebrochene Getränkehalter, 1 kaputte Getränkeflasche und 41 Radreisende, die uns begegneten (nur mit einigen von ihnen haben wir geplauscht bzw. sind wir gereist).

Für Rückfragen und Erfahrungsaustausch stehen wir Euch ab sofort gern wieder persönlich zur Verfügung. 🙂

Herzlich grüßen Euch Eure Radnomaden Mirko & Ina

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Ein Gedanke zu „Ulanbataar, Mongolei – Limbach-Oberfrohna, Deutschland“

  1. Willkommensgruß zurück in Limbach-Oberfrohna. Sicherlich ist der Alltag schon wieder etwas eingekehrt. Aber die Erinnerung bleibt.
    Liebe Grüße von Christine und Walter

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