Nömrög – Ulanbataar, Mongolei

Das große mongolische Reich – Zwischen Tradition und Moderne

Gute Geister gehen und kommen mit Regen.“ schreibt Galsan Tschinag, ein mongolischer Schriftsteller, in „Die Karawane“. Für uns kommen die guten Geister scheinbar, denn nach einem Tag heftigsten Regenfällen in Nömrög reisen wir am nächsten Tag bei zwar bewölktem, doch trockenem Wetter weiter gen Osten.

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Eines der ersten kulturellen Highlights unserer Weiterreise ist der erste Owoo an der Strecke. Galsan Tschinag beschreibt sie in „Die Karawane“ als „Opfer aus aufgehäuften Steinen für den Ortsgeist. Die Sitte gebietet jedem Vorüberkommenden, einen Stein dazuzulegen.“. Geschmückt sind die Owoo mit Tuchstreifen und diversen anderen Opfergaben. So umrunden auch wir den Owoo drei Mal und legen einen weiteren Stein auf die reichhaltige Sammlung. Das soll Glück bringen.

Die Wasserversorgung in den ländlichen Gebieten wird traditionell über Brunnen (худаг) gewährleistet, quasi Tankstellen für Trinkwasser. Hierher kommen die Menschen entweder modern mit ihren Milchkannen auf dem Handkarren oder modern mit mehreren 50l-Kanistern im Kofferraum ihres Autos. Die Brunnen sind – supermodern – ausschließlich mit Geldkarten zu bedienen, wobei es für jede Region ein anderes Kartensystem gibt. Da sich die Brunnen mitten in den Ortschaften befinden, kommen wir beide so regelmäßig in Kontakt mit der jeweils ansässigen Bevölkerung.

Das einfache Leben der Einheimischen spiegelt sich für uns vor allem im überschaubaren Speisenangebot – und das, obwohl vor allem ich ständig hungrig bin, um bei den inzwischen durchaus spätherbstlich anmutenden Witterungsbedingungen meinen Energiehaushalt am Laufen zu halten. So bieten die hiesigen Kantinen (Гуанз) Nudelsuppe mit Fleisch (Гурилтай Шөл), gebratene Nudeln mit Rindfleisch und eventuell Wurzelgemüse (цуйван), gedämpfte mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen (бууз) oder frittierte Teigtaschen mit Lammhackfleisch gefüllt (хуушуур), also im Grunde Teigwaren mit Fleisch in unterschiedlichen Varianten. Nur in den Städten vervielfältigt sich die Speisekarte, so z. B. in Tosontsengel, wo uns zur üblichen Fleischportion gebratenes Ei, Reis und Buchweizen (өндөгтэй гоймон) serviert wird. Ach ja, in jedem Fall stehen 2L-Thermoskannen mit  Tee (сүүтэй цай) auf dem Tisch, salzigem Milchtee. Dessen Geschmack spaltet die Geister. 🙂

Von Tosontsengel aus folgen wir dem Ider flussabwärts, dessen Ufer mit Gers und vor allem Bäumen gesäumt ist. In dieser traumhaften Umgebung finden wir ein traumhaftes Campingplätzchen direkt am Wasser und genießen zum ersten Mal seit Wochen einen Abend VOR dem Zelt mit Sonnenunter- und Mondaufgang, ohne vor lauter Kälte ins Zelt zu fliehen. Die Anfahrt zum Regenbogenpass (Солонготын даваа) am nächsten Tag beenden wir vorzeitig, da es am frühen Nachmittag zu regnen beginnt und sich Regen im mongolischen Herbst auf 2.558m sicherlich unangenehm anfühlen würde. Im Lärchenwald campt es sich hingegen gemütlich und wir verschieben die Passquerung auf morgen. Da haben wir die Sonne auch wieder auf unserer Seite.

Am Touristenmagnet Terchiin Tsagaan Nuur bemerken wir einmal mehr, dass sich die Reisesaison dem Ende zu neigt. Sämtliche Ger Camps, die sonst das Ufer zieren, sind bereits abtransportiert. Übrig geblieben sind nur Müll und Toiletten-“Kabinen“, aus Holz zusammengezimmerte Wände um eine Bodenplatte mit Aussparung über einem tiefen Erdloch. Letzteres ist sehr zu unserem Vorteil, da wir auch am Weißen See einen Tag Zwangspause wegen durchgängig anhaltendem Regen einlegen.

Der weitere Weg nach Tsetserleg lässt sich mit den Worten beschreiben: Die Mongolei ist überall schön auf ihre unwiederholbare Art, hier aber ist es geradezu paradiesisch.“ (Galsan Tschinag – „Die Karawane“). Der Suman Gol hat als Ausfluss des Terchiin Tsagaan Nuur eine tiefe Schlucht in das Lavagestein des einstmals aktiven Vulkans Chorgo geschnitten, umstanden von Lärchenwald; kräftiger Rückenwind pustet uns voran gen Osten; einen beeindruckenden Anblick bietet auch die Schlucht des Tschuluut, der aus den Changaibergen hinunter in den Ider fließt; wir pedalieren durch weite Täler und über sanfte Hügelketten. Wunderbar!

An einem der nächsten Abende bekommen wir Besuch am Zelt von einem Einheimischen im Deel (дээл), einem traditionell gewickelten Mantel, die in der Regel von kräftiger Farbe sind und mit einem leuchtenden Tuch oder einem Ledergürtel in der Taille zusammen gehalten werden. Er besucht uns mit seinem Moped, um seine Kühe nach Hause zu treiben. Wird der Viehtrieb traditionell mit speziellem Pfeifen, Zisch- und Rachenlauten von Reitenden auf ihren Pferden bewerkstelligt, beobachten wir hier nun regelmäßig die „moderne“ Variante, die aus wildem Mopedfahren und noch wilderem, langanhaltendem Hupen besteht und die Schafe, Ziegen oder Pferde in heftigem Zickzack über die Steppe jagt.

Kurz vor Tsetserleg (und dem hochgradig steilen, ausgewaschen sandigen Anstieg hoch zum letzten Pass) begegnen wir zwei Schwestern aus Australien auf ihren Rädern, unterwegs in die gleiche Richtung. In Tsetserleg angekommen, treffen wir im Fairfield Guesthouse zwei weiteren Radlerinnen aus Kanada. Alle vier haben die Bikepaking-Route Khangai Mountain Traverese absolviert. Beim gemeinsamen Abend im Fairfield Café ist das Geschlechterverhältnis von 5:1 außerordentlich ungewöhnlich. In der Regel befinde eher ich mich als einzige Radfahrerin in der Gesellschaft von 5 Männern als umgekehrt. Der Abend zu sechst ist unabhängig  davon eine willkommene Abwechslung zu unserer sonstigen trauten Zweisamkeit.

Bereits in Almaty, Kasachstan wurde uns prophezeit, dass es in der Mongolei nur einen kurzen Übergang von Sommer zu Winter geben würde. Dennoch sind wir recht erschrocken, als wir nach zwei Pausentagen in Tsetserleg die Heißen Quellen des Tsencher besuchen und dort am Abend Schnee fällt. Doch wir hatten mit Blick auf die Wettervorhersage vorgebaut und – endlich – eine Übernachtung in einer Ger gebucht.

Die mongolische Jurte hat sich mit ihrem runden Grundriss, der geringen Raumhöhe und der dicken Filzummantelung über Jahrhunderte als Unterkunft in diesem von Extremen gekennzeichneten Klima bewährt, denn hier gibt es sowohl im Jahres- als auch im Tagesverlauf starke Temperaturschwankungen. Außerdem können Gers innerhalb weniger Stunden auf- und abgebaut werden, was im Nomadenalltag sicherlich von großem Vorteil ist. Traditionell wurden Gers von Kamelen oder Yaks transportiert; heutzutage übernehmen dies kleinere Lastwagen, die die in Einzelteile zerlegte Ger am Ende der Sommersaison in niedrigere Lagen verfrachten. Obenauf sind die Betten und die Krone der Jurte geschichtet, manchmal fährt auch noch die Hausziege mit. Den Mittelpunkt einer Ger bildet der Metallofen, in dem je nach geographischer Lage mit getrocknetem Dung (Steppengebiete, Süden), Holz (Norden) oder Kohle (städtische Gebiete) gefeuert wird.

So hocken auch wir beide in einer fast schon überhitzten Jurte und freuen uns über diese außergewöhnliche Kulturerfahrung. Auf dem Gelände des Khangai Resort gibt es darüber hinaus 5 Pools mit unterschiedlich temperiertem Thermalwasser, das wir ausgiebig zum Lockern unserer Muskulatur nutzen. Der Schnee verhilft uns zu einem weiteren Pausentag, an dem wir zur Heißen Quelle wandern, durch Lärchenwald und die Ansammlung touristischer Ger Camps und uns natürlich weitere Einheiten in den heißen Pools gönnen.

Den noch größeren Abstecher nach Süden ins Orchon-Tal lassen wir bei diesen Temperaturen lieber sein, da mit dieser Schleife mehr als 20 Flussquerungen durch den doch recht breiten Orchon verbunden sind. Ich hatte bereits auf dem Weg zu den Heißen Quellen eine kleine Flussquerung ohne Schuhe in eiskaltem Wasser absolviert – eine schmerzhafte Erfahrung – und war nicht besonders scharf auf eine Vielzahl davon. Stattdessen radeln wir über Tsencher direkt nach Charkhorin. Inzwischen haben wir unseren Tagesrhythmus erneut der Witterung angepasst: Wir halten unsere Nasen erst aus dem Zelt, wenn die Sonne sich am Himmel zeigt, was frühestens gegen halb acht der Fall ist. In deren wärmenden Strahlen frühstücken wir, bei kaltem Wind gern auch im Zelt, und warten dabei, dass sie den Reif vom Zelt trocknet. Ungefähr um zehn Uhr schwingen wir uns auf unsere Stahlrösser, rasten nach zweieinhalb bis drei Stunden für einen Mittagsimbiss, halten evtl. noch ein kurzes Nickerchen und pedalieren danach noch einmal für zwei bis drei Stunden, unterbrochen von einer dringend notwendigen Kekspause. Etwa um fünf, allerspätestens halb sechs beenden wir den Radtag, um mit dem Untergehen der Sonne gegen sieben wieder im warmen Zelt zu verschwinden. Auch unsere Bekleidung im Schlafsack besteht inzwischen aus mehreren Lagen. Doch wie schreibt Galsan Tschinag: „Überhaupt bemerke ich eine Veränderung, Mensch wie Tier gewöhnen sich an die Reise. Sich vorwärts bewegen, von Ziel zu Ziel weiterziehen, abgehen und ankommen wird zur normalen Lebensform für alle Lebewesen.“ („Die Karawane“).

In Charkorin befinden sich die Überreste der im 13. Jahrhundert von Dschingis Khan zur Hauptstadt der Mongolen erkorene Stadt Karakorum sowie das Erdene Dsuu Kloster. Diesem statten wir bei strahlendem Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen einen ausgiebigen Besuch ab. Ich radle anschließend noch hinauf zum Imperial Map Monument (auch bekannt als King‘s Monument), das auf drei riesigen Mosaikwänden die Entwicklung der Mongolischen Kaiserreiche zeigt. Kaum vorstellbar, dass das Mongolische Reich im 13. Jahrhundert eine Ausdehnung hatte, die von den Gelben Bergen in Chinas Osten über die Große Mauer im Süden, das Donaubecken im Westen bis hin zum Baikalsee im Norden reichte.

Ein kleines Juwel an der weiteren Strecke nach Osten ist die sogenannte Kleine Gobi, Els Mongol, die sich auf einer Länge von 80 km und einer Breite von 5 km ausdehnt. Die Landschaft scheint, als hätte der Wind uns in die afrikanische Savanne verweht. Das Gebiet ist umgeben von Sanddünen, mit Sträuchern und Bäumen bewachsenen Hügeln, schroffen Bergen in der Ferne, Kamel- und Ziegenherden ziehen vorbei. Ein grandioser Platz für eine Übernachtung. Am nächsten Morgen finden wir uns in Wogen gespenstischen Nebels wieder, die erst gegen neun von der Sonne vertrieben werden.

Nach einer weiteren Tagesetappe treffen wir in der Nähe von Erdenesant auf Lotta und Lukas, also genau genommen holen uns die beiden ein. Sie sind im Februar diesen Jahres in der Nähe von Pirmasens gestartet und auf dem Weg immer weiter nach Osten, bis sie wieder deutschen Boden unter den Reifen haben werden. Weil wir den gleichen Weg und vor allem gegenseitig so viel zu erzählen haben und weil es ausgesprochen lustig miteinander ist, bewältigen wir die letzten knapp 200 Kilometer bis Ulanbataar gemeinsam. So besuchen wir auch im Quartett das Mongolia Immigration Office, wo wir gemeinschaftlich unsere Visaverlängerungsstempel abholen. Erst mitten in Downtown trennen sich unsere Wege, doch wir finden später noch einmal zu einem gemeinsamen Abend bei Pizza, Bier und Limonade zueinander.

Mirko und ich folgen für die erste Nacht in UB der Einladung von Tom und Gerrard in ihr Zuhause, die wir in Charkorin kennengelernt hatten. Unsere Ankunft in der ruhig gelegenen, grünen Wohnanlage bzw. die erfolgreiche Vollendung unserer Zentralasien-Tour feiern die beiden mit einer Flasche Champagner und einem ausgesprochen leckeren philippinischen Abendessen, von Gerrard zubereitet. Wir werden nicht nur kulinarisch verwöhnt, sie stellen uns auch das große Schlafzimmer mit angrenzendem Badezimmer sowie Waschmaschine und Trockner zur Verfügung. Ein Rundum-Wohlfühlprogramm! Mit Tom als Leiter der Entwicklungshilfeabteilung in der US-Botschaft und Gerrard mit einem Samelsurium aus Lebensereignissen verbringen wir einen kurzweiligen, interessanten, großartigen Abend. Vor lauter überwältigender Aufregung vergessen wir bedauerlicherweise, ein Foto von ihnen und Hund Toby zu machen.

Ulanbataar scheint mir eine Stadt ohne Grenzen: die Bevölkerung ist multikulturell; die Stadtteile erstrecken sich bis an die Ränder der vier umgebenden hohen Berge; die Ger Districts wachsen deren Hänge hinauf, ohne das die dazugehörige Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung mithalten kann; Polizisten regeln pfeifend scheinbar sinnfrei den grundsätzlich ampelgesteuerten Verkehr, der zu jeder Tageszeit immens ist; der über der Stadt hängende Smog ist dicht und am Abend riecht es nach brennendem Feuerholz als säßen wir im Braunsdorfer Garten um Peters Feuerschale; (hupender) Lärm gehört zur Tagesordnung; Apotheken, Bankautomaten und koreanische Restaurants gibt es wie Sand am Meer – einfach alles wirkt wie aus den Nähten geplatzt. Damit steht unser Aufenthalt hier im völligen Gegensatz zu den ersten mehreren hundert Kilometern in diesem Land. Dennoch verbringen wir hier gleich mehrere Tage. Zum einen mit Sightseeing, zum anderen mit Rückreisevorbereitungen, u.a. brauchen wir mehrere Anläufe Radkartons für das Verpacken unserer Drahtesel zu finden. Am Ende sind uns dabei Glück und Zufall behilflich.

Wenn ich an die Mongolei zurückdenke, erinnere ich mich an diese leeren Landschaften voller Himmel und Farben. […] Die Landschaft war eintönig,aber dennoch veränderte sie sich ständig. Das Gras variierte von grünlich bis gelb, die Berge in der Ferne konnten braun sein, blau, rot oder grün. In einem Augenblick fuhren wir durch eine silberfarbene Mondlandschaft,in der sich die Höhenzüge wie sanfte Wellen in alle Himmelsrichtungen erstreckten, im nächsten Moment waren wir an einem stahlblauen Fluss, an dem Kamele standen und ihren Durst löschten.“ Da ich die unvergleichliche Einzigartigkeit der Mongolei nicht treffender formulieren könnte, habe ich mich Erika Fatlands Worten in „Die Grenze“ bedient. Weite und Entfernungen bekamen bei unserer Reise durch dieses Land eine völlig neue Bedeutung. Es bleibt abzuwarten, wie uns die Reintegration in den Alltag zu Hause in den kommenden Tagen und Wochen gelingen wird.

In diesem Sinne bleibt es weiter spannend…

Eure Ina

Gesamtstrecke: 8.181km

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5 Gedanken zu „Nömrög – Ulanbataar, Mongolei“

  1. Gespannt haben wir den letzten Beitrag eurer Reise erwartet! Spannender Bericht und tolle Bilder! Um die eisigen Temperaturen, Schnee und Regen haben wir euch nicht benieden 😉
    Wir wünschen euch eine reibungslose Heimreise und einen guten Start
    … vielleicht treffen wir uns nochmals irgendwo auf der Welt … und sonst freuen wir uns auf einen Besuch von euch in der Schweiz! 🙂

  2. Auch wir haben mit großer Freude und Interesse euren letzten Bericht gelesen und die tollen Bilder angesehen. Vielen dank dafür, das ihr uns an euren Abenteuern und Erlebnissen teilhaben liesst. Dadurch haben wir wieder einmal Einblicke in eine ,für uns fremde Welt bekommen. Jetzt freuen wir uns euch in die Arme zu schließen und auf persönliche Gespräche. Tschüss bis bald. Liebe grüße von Balazs und Kristina.

  3. Und wieder geht eins eurer Abenteuer zu Ende, an dem ich sehr gerne „teilgenommen“ habe!
    Kommt gut heim und nochmal viiiiiielen Dank für die tollen Geburtstagsgrüße!
    Ich drück euch! Liebe Grüße! Sandra

  4. Hallo ihr Beiden,

    Toll das Euch die Mongolei so gut gefallen hat. Durch Euren Bericht sind viele Erinnerungen bei mir wach geworden und ich kann Euer Fazit bez. der Mongolei nur bestätigen.

    Ich hoffe ihr seid gut daheim angekommen. Viel Erfolg beim wieder „eingrooven“

    LG
    Antonio

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