Hagel und andere internationale Köstlichkeiten
Die luxuriöse Campingplatzidylle des CROSSWAY Camping in Jeghegnadsor zu verlassen, wohl wissend dass es von hier erst einmal nur bergauf geht, fällt uns wahrlich nicht leicht. Doch der Berg ruft und eine gute Portion Rückenwind am Morgen motiviert uns zusätzlich. Eher frustrierend wird wohl die uns entgegenkommende Christina auf ihrem Weg nach China den Wind empfunden haben. Wir treffen die junge radelnde Schweizerin kurz nach unserem Start und freuen uns über die willkommen Gelegenheit für ein Päuschen. Doch da wir immer noch eine kleine Portion Ehrgeiz im Gepäck haben, finden wir uns nach einem kurzweiligen Schwätzchen doch auf unseren Rädern wieder und erklimmen angespornt durch Christinas Reiseleidenschaft in Nullkommanichts den Selim-Pass.
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Kurz vor der Passhöhe stolpern wir über die alte Karawanserei der Orbelian-Familie. Eine Inschrift über dem Eingang datiert den mittelalterlichen Rastplatz, wo einst die Reiter der Karawanen und ihre Lasttiere übernachteten, auf das Jahr 1326. Entlang der armenischen Seidenstrassen finden sich vielerorts derartige interressante Zeitzeugen.
Orbelian Karavanserei
Wir ziehen zügig weiter, denn oben am Pass ist es recht windig und kalt. Außerdem wartet der Sevansee auf uns. Am späten Nachmittag erreichen wir das Südufer des Sees, wo wir bei der Suche nach einem Schlafplatz prompt vom freundlichen Bauern Ambu eingeladen werden auf seinem Grundstück zu zelten. Da unser Armenisch immer noch lückenhaft ist und unsere Russisch-Kenntnisse eingerostet, ist die Unterhaltung mit Ambu leider sehr kurz, reicht allerdings, um uns übers Grundstück zu führen und stolz von seinen FÜNF Autos zu berichten. Aus unserer Sicht alles schrottreife Karren, aus armenischer Sicht leicht zu reparierende Wagen im zweiten Lebenszyklus.
Entlang des größten Sees des Kaukasus finden sich viele Zeugen seiner uralten Besiedlungsgeschichte, die bis in die Bronzezeit zurück reicht. Ausgestattet mit frisch geräucherter Sewan-Forelle erkunden wir das westliche Ufer: Armeniens größter Friedhof in Noratus mit seinen für die armenisch-orthodoxe Kirche so typischen Kreuzsteinen, das Kloster Hayravank aus dem 9. Jahrhundert, das Kloster Sewanawank auf der gleichnamigen Halbinsel. Am Abend schlagen wir direkt am Seeufer ein feines Wildcamp auf.
Kloster bei Hayravank
Armeniens größter Friedhof in Noratus
Kloster Sewanawank
Über einen weiteren Pass erreichen wir die sogenannte armenische Schweiz um den Ort Dilijan mit wunderschönen Bergpanoramen. Allerdings kann die Schweiz von der Abgeschiedenheit und Ruhe, die wir hier finden, nur träumen. Kein hektischer Verkehr, keine Menschen auf der Jagd nach einem schnellen Touristendollar und traumhafte Campingmöglichkeiten überall. Für noch mehr Natur verlassen wir die wenig befahrene Hauptstrasse und schlagen uns auf Nebenstrassen bis zur georgischen Grenze durch.
Die Nebenstrasse ist wie erwartet unasphaltiert und trotz unserer schweren Räder meistens fahrbar. Leider ist uns das Wetter in den letzten Tagen weniger gut gestimmt, so ziehen am Abend regelmäßig dunkle Wolken auf und der Himmel öffnet seine Schleusen. Zum Glück gibt es auch auf dieser Nebenstrasse immer wieder überdachte Unterstände, die wir dankend zum Campieren annehmen. Einen solchen Unterstand, schön an einem Wasserfall gelegen, peilen wir an diesem Abend an. Bei einsetzendem Starkregen erreichen wir auch die in der Karte markierte Stelle nur um festzustellen, dass ein reisender Fluss uns vom rettendem Unterstand trennt. Noch diskutierend ob sich denn die Mühe eine Flussquerung lohnt, entdecken wir auf der anderen Flussseite zwei Radfahrer, zufrieden im Trockenen ihre Pasta kochend. Damit hat die Abenteurerehre die Entscheidung gefällt und Minuten später staksen wir mit geschulterten Taschen und bis zu den Hüften von reißenden Wassern umspült zum anderen Ufer. Die beiden Liechtensteiner Daina & Robin begrüßen uns freudig im Unterstand und während es „draußen“ regnet machen wir uns es bei einer heissen Tasse Tee und Geschichten von nah und fern gemütlich.
Unterwegs im armenischen Hinterland
Georgien liegt nun nur noch eine Tagesreise´über kleine Dörfer und weite Wiesen entfernt. Wir hauen die letzten armenischen Taler in einem kleinen Laden kurz vor der Grenze auf den Kopf. Dies wird vom über unserem Besuch hocherfreuten Besitzer in Form von Selbsgebrandtem honoriert. Da wir in den Traditionen Armeniens bei Weitem nicht sattelfest sind und daher bis dato nicht wissen, dass das Leeren eines Glasses einer Aufforderung zum Nachfüllen gleich kommt, erreichen wir gegen zehn Uhr Morgens in feuchtfröhlicher Stimmung die Grenzstation. Die gute Laune springt auf den georgischen Grenzbeamten über und wir werden freundlich mit einem in Deutsch geäußerten „Herzlich Willkommen in Georgien!“ begrüßt. Aber vielleicht haben die Menschen in Georgien auch ähnliche Traditionen wie ihre Nachbarn und der freudestrahlende Grenzbeamte war am Morgen auch schon einkaufen. Wie auch immer, wir fühlen uns willkommen in Georgien und radeln weiter über Nebenstrassen in Richtung des Kura-Tal. Dort angekommen öffnet sich uns ein herrlicher Ausblick auf den Oberlauf des größten Kaukasus-Flusses Mtkwari und der Höhlenstadt Wardsia.
Ankunft am Tal des Mtkwari
Blick auf die Höhlenstadt Wardsia
Erbaut im 12. Jahrhundert bietete die Höhlenstadt Wardsia ursprünglich Raum für bis zu 50.000 Menschen in 3.000 Wohnungen. Später wurde die Stadt als Kloster benutzt und auch heute leben noch einige Mönche hier. Hauptsächlich dient die Anlage heute allerdings als Tourismusmagnet für die Region und die großen Reisebusse reihen sich auf dem zentralen Parkplatz aneinander. Deshalb und weil es im Kura-Tal jede Menge derartiger Klosteranlagen gibt, lassen wir Wardsia links liegen und statten stattdesen dem Kloster Vanis k´vabebi einen Besuch ab. Auch hier wird touristisch aufgerüstet, aber noch ist es nicht so weit und wir streifen für ein paar Stunden mutterseelenallein durch das Kloster.
Kloster Vanis k´vabebi
Landschaftlich und kulturell geht es in Georgien so spannend weiter wie es in Armenien aufgehört hat. Allein die Fahrt das Kura-Tal hinunter ist eine Reise nach Georgien wert. Wunderbare Landschaft und hochwertig restaurierte Klöster, Burgen und Kirchen rechts und links des Weges. Allerdings ist Georgien moderner, westlicher und herausgeputzer als Armenien, welches sich für uns charmanter und authentischer anfühlte.
Wir fahren weiter nach Achalziche, wo wir am Rabati-Schloss vorbei dem Flusslauf des Potskhovi und später des Kvabliani folgen. Schnell wird es ruhig um uns und zufällig entdecken wir eine kleine georgische Perle, denn am Wegesrand entdecken wir den Abzweig zum Zarzma-Kloster. Wir überlegen zuerst einmal ob wir diesen Abstecher überhaupt wagen sollen, schließlich haben wir schon genug Kloster gesehen. Wir entscheiden uns glücklicherweise dafür, denn auf dem Hügel erwartet uns ein umwerfend restauriertes Kloster. Die Bewohner haben die Anlage liebevoll bis in kleinste Detail hergerichtet. So finden wir von Rosenbüschen umgebenen Mauerreste, einen kleinen Teich mit einer Miniarche plus Bewohner und einen tollen Garten mit Plätzchen zum Innehalten vor. Wir könnten stundenlang die tausend kleinen Details entdecken und bestaunen. Als wir dann die Kirche betreten, fühlen wir uns an einen magischen Ort versetzt. Die durch die Kreuzkuppel einfallenden Sonnenstrahlen illuminieren die fast tausend Jahre alten Wandmalereien und auch hier scheint jedes kleinste Detail mit Bedacht angerichtet oder ausgewählt. Ein tolles Erlebnis, welches wir auch noch völlig allein und in andachtsvoller Stille genießen können.
Zarzma-Kloster
Nach dieser Kultureinlage widmen wir uns wieder der körperlichen Arbeit – schließlich gilt es die Balance von Körper und Geist zu wahren. Begleitet von einer hitzigen Sonne und schönen Ausblicken auf die waldbedeckten Hügel arbeiten wir uns den Weg zum aus schönen alten Holzhäusern bestehenden Ort Khulo hinauf, welcher gleichzeitig die Passhöhe markiert. Auf der anderen Seite geht es weniger idyllisch an einem entstehenden Skigebiet vorbei das Tal Richtung Batumi hinunter. Unterwegs halten wir noch einen kleinen Schwatz mit einem russischen Radpärchen, Valentina & Vitali, die eine Runde duch Georgien drehen. Am Rande eines kleinen Dörfchens campend, beschenken uns am Abend zwei Jungen mit einem Eimer Kirschen.
Batumi entpfängt uns im krassem Gegensatz zu den letzten Wochen mit riesigen, protzigen und kitschigen Hotelburgen und wir fühlen uns in eine andere Welt versetzt. Eine Welt, die uns mit ihrem Konsum und scheinbarer Inhaltlosigkeit immer fremder zu werden zu scheint. Doch zumindest bietet Batumi eine schön restaurierte Altstadt, in der das Herumschledern lohnt sowie einen langen Uferpark, der mit seinem großen Wiesen zum Picknick einlädt.
Uferpromenade und Europaplatz, Batumi
Von Batumi ist es nur noch ein Katzensprung bis in die Türkei. Die Küste entlang fahrend finden wir eine alte römische Festungsanlage und jede Menge mit Sonnenschirmen gepflasterte Strände. Ja selbst am Grenzübergang, der auf den ersten Blick wie einen weiterer Hotelbau aussieht, wird dem Sonnenbaden gefröhnt.
Grenzübergang in unser 33. Reiseland Türkei
Grenzformalitäten sind fast nicht vorhanden und nach einer schnellen Stempelei heißt uns auch der türkische Beamte herzlich in seinem Land willkommen.
Anfangs noch eng zwischen Berg und Meer eingepfercht, Richtung Südwesten allmahlich weiter werdend, schlängelt sich die Schnellstrasse die Schwarzmeerküste entlang. Da nur wenige Campingmöglichkeiten auszumachen sind, schlagen wir unser Zelt in einem unbenutzen Teil eines kleinen Gemüsegartens auf, direkt am Küstenstreifen gelegen. Kaum haben wir uns niedergelassen kommt auch schon der Besitzer Milli von der anderen Strassenseite herbeigeeilt, um uns freundlich willkommen zu heißen. Nur wenige Minuten später steht ein Teller hausgemachter Köstlichkeiten – Baklava, Nuss-Böreg, Dolma – zum Verwöhnen vor uns. Das nennen wir mal Willkommenskultur!
Zwei Tage geht es für uns an der hektischer werdenden Küste bis Trabzon, wo wir ins hoffentlich ruhigere Landesinnere abbiegen. Bis Macka besteht die Strecke meistens aus stark befahrener, jedoch mit einem feinen Randstreifen ausgestatter Autobahn. Dieser Randstreifen endet jedoch leider immer an den zahlreichen, zum Glück beleuchteten Tunneln, an denen es für uns dann entweder heisst „Augen zu und durch“ oder, sofern vorhanden, auf Schotterpiste außen um den Tunnel herum.
Ab Macka wird der Verkehr ruhiger und wir können die Überquerung des ersten der drei größeren Pässe ins Landesinnere in Ruhe angehen. Die zwar reinigenden, aber manchmal auch nervenden nachmittäglichen Schauer haben wir übrigens immer noch im Reisegepäck. Hatten wir in der Türkei mit großer Hitze gerechnet so sorgen diese Schauer und die mittlere Höhe von 1.200m für den einen oder anderen fröstelnden Moment. Wenn es dann noch, wie auf der zweiten UND dritten Passüberquerunq geschehen, auf der Passhöhe von etwa 2.000m anfängt erbsengroße Hagelkörner auf uns zu werfen, wird die ganze Sache unangenehm und sogar schmerzhaft. Treffen einzelne Hagelkörner hervorstehende Knochenpartien wie Knie und Finger, was sie nach Murphys Gesetz natürlich viel häufiger tun als zum Beispiel einen schmerztoleranten Helm, so ist ein herausschreiendes „AUA!“ selbst mit tonnenschwerer Beißkraft nicht mehr aufzuhalten. Nichts desto trotz Inas schönstes Erlebnis für diesen Tag – da versteh einer die Welt!
Über Berg und Tal nach Sivas
Nach diesen drei längeren Anstiegen führt die Strecke nun mehr durch hügeliges Gelände bis zur Stadt Sivas, wo wir uns ein Päuschen gönnen und auf´s Weiterfahren freuen. 😉 Im nächsten Blogpost können wir euch dann hoffentlich mehr über Land, Leute und die türkische Lebensweise erzählen.
Bis dahin bleibt aufmerksam!
Eure Radieschen Ina und Mirko
Gesamtstrecke: 55.043km
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moin ihr beiden sattel-artisten,
gut zu wissen, dass es euch weiterhin gut geht auf eurem weg um die kleine kugel (naja, klein ist relativ, i know) und schön, dass ihr die lokalen bräuche berücksichtigt (austrinken; einkauf am morgen, herrlich!) … habt ihr eigentlich in georgien auch vergorene ziegenmilch probiert (ihr/zumindest der teil eurer reisegruppe mit bart probiert doch eigentlich alles)? die dame in meiner kleinen, männer-dominierten sippe kann sich an diese spezialität und deren verkostung in georgien noch lebhaft erinnern 😉 unsere kirschen kommen übrigens zu 98% mit zusätzlichem protein vom baum, war das bei euch auch so? habt ihr neben den ländern eigentlich auch die platten gezählt die ihr unterwegs flicken musstet und wenn ihr von den touristen in wardsia schreibt, sind das eher lokale/regionale touristen oder sind europäer/sonstige in der mehrzahl? so oder so, ihr könnt eigentlich direkt zu uns geradelt kommen und euren vortrag beginnen um alle fragen zu beantworten und keine angst mirko, ich habe auch große gläser, es droht also keine umstellung … nungut, dann wiedermal danke für den tollen bericht und die teilweise ja schon als kunst zu bezeichnenden „schnappschüsse“ & euch beiden natürlich weiterhin alles gute, viel glück und tolle erfahrungen auf eurem weg …
gehabt euch wohl,
der officer samt sippe
@link: wir kommen ja nicht soviel rum wie ihr, aber der officer hat sich zuletzt mit unterstützung von maverick, der/die/das henne & einem lehrer aus waldenburg (der mittlerweile zwei mädels aufzieht) auch mal wieder in bisher unbekanntes terrain vorgewagt (biergarten der frau krause) und da gabs durchaus inspirierende live-musik …
Werter Officer, wissbegierig wie wir es von Dir gewohnt sind. Daher sollst Du Antworten erhalten auf Deine tiefgehenden Fragen:
Die Kirschen waren in unserem Fall höchstwahrscheinlich ohne Zusatzproteine. Wir waren wie immer viel zu hungrig um das prüfen.;-)
Der Kelch mit vergorener Ziegenmilch ist an uns vorüber gegangen, allerdings haben wir diverse Käsesorten probiert, u.a. in Brot gebacken. Köstlich!
Das Zählen der Platten hatten wir bereits nach wenigen Wochen des Radreisens aufgegeben. Doch wir können angeben, dass jeder Schlauch mindestens dreizehn Flicken haben muss, bevor er über den Jordan geschickt wird. Einzige Ausnahme hierbei sind defekte Ventile.
Welcher Art die Tourist*innen in Wardsia waren können wir gar nicht sagen – wir hielten uns in sicherem Abstand auf. 😉
Danke für die Einladung! Wir befürchten jedoch Enterbung auf beiden Seiten falls wir direkt zu Euch geradelt kämen…
Hallo, ihr da, wir haben was über euch im Stadtstreicher gelesen. Und ich sehe, ihr seid in Europa angekommen. Da könnten wir bald mal wieder zum Bowling gehen ,-),-))
Ich mach ne kleine Tour nach Amsterdam, Kekse holen. Allerdings nehmen wir das Auto auch mit. Bedenke mein/ unser Alter!
Tschüss, das Essen kam! LG, Monika
Liebe Moni, das hast Du fein gelesen. 🙂 Doch Europa ist noch ein paar Kilometerchen entfernt. Doch wir treten rein!b 😉 Das Aletr ist keine Ausrede und beim Bowling hast Du´s bisher IMMER krachen lassen. Ich nehme die Einladung für Herbst gern entgegen, doch bedenke meine Arme wurden in den letzten drei Jahren wenig trainiert… 😀