Istanbul, Türkei – Belgrad, Serbien

Via Diagonalis über die Balkanhalbinsel

Wir verlassen den Schmelztiegel Istanbul nach sage und schreibe einer Woche Aufenthalt und gönnen uns zum krönenden Abschluss eine kleine Kreuzfahrt über den Bosporus. Der soll ja ganz schön sein und da die Bootsfahrt zum ÖPNV-Tarif zu haben ist, lässt sich so das schmelztiegliche Verkehrschaos mit auf der Reling entspannenden Beinen umschiffen. Beschaulich ziehen die äußeren Stadtviertel Istanbuls, diverse Villen und geschichtsträchtige Festungsanlagen an uns vorbei bis wir an der Endstation Rumeli Kavagi wieder Land unter die Reifen nehmen. Dabei treiben wir unsere Räder über die einst einzige Strasse zwischen Orient und Okzident, die Via Diagonalis. Auch unter dem Namen Via Militaris bekannt, nahm sie besonders während der Kreuzzüge, der Belagerung Wiens, der Hunnen-Raubzüge sowie der Völkerwanderung der Slawen und Goten eine weltgeschichtliche Rolle ein.

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Zum Glück wurde das alte römische Kopfsteinpflaster durch Asphalt ersetzt und wir können ohne klappernde Räder oder aufeinander schlagende Zähne die Schlussetappe angehen. Schnell lassen wir die letzten Ausläufer Istanbuls hinter uns und pedalieren durch den Belgrader Wald und durch die von Sonnenblumen- und Maisfeldern gesäumte Landidylle Ostthrakiens.

  

  

Westtürkisches Ländle

Auf dem Weg Richtung Edirne treffen wir mit Yusun dann auch unseren ersten türkischen Reiseradler, der uns auf einer kleinen Abfahrt schiebend, schnaufend und schwitzend entgegen kommt. Vier Tage reisen wir in gewohntem Trott aus ausgiebigem Frühstück, etwas Radeln, Mittagspause, wieder Radeln, Wasser auffüllen, Einkaufen, Weiterradeln, Leute grüssen und Ninjacamping bis an die bulgarische Grenze bei Edirne. Doch bevor wir die Türkei verlassen, wünscht uns ein Unbekannter eine gute Reise, indem er während unseres Besuches im Supermarkt unbemerkt zwei Äpfel auf meinen Radtaschen platziert. Eine feine, kleine Überraschung. 🙂

Zurück in der Europäischen Union

Nun sind wir also endgültig zurück in der Festung Europa. Als erste Stadt in Bulgarien begrüsst uns Dimitrowgrad, benannt nach dem ehemaligen Premierminister und Führer der Kommunistischen Partei Georgi Dimitrow. Ungeachtet dessen, dass das junge Dimitrowgrad als Modell einer sozialistischen Stadt geplant war, fühlen wir uns wohl in den breiten Strassen und riesigen Parks. Okay, da schwingt wohl ein bisschen Ostalgie mit oder es machen sich die ersten Anzeichen von Alterssentimentalität bemerkbar. 🙂 Wie auch immer, wir folgen weiter der Via Diagonalis am Fluss Mariza entlang Richtung Plowdiw, vor dessen Toren wir den ukrainischen Reiseradler und Ex-Kriminalkommissar Oleg treffen. Oleg ist in dieselbe Richtung unterwegs wie wir und deshalb kurbeln wir zusammen in die zweitgrößte Stadt Bulgariens. Da alkoholisierter Gerstensaft in Bulgarien wieder erschwinglich ist, verbringen wir den lauen Sommerabend in der Altstadt bei frisch Gezapftem und lauschen den Geschichten vom ukrainischen Tatort. Leider hat Oleg „Termindruck“ und verlässt uns noch am gleichen Abend. So erkunden wir eben zu zweit die altrömischen Hinterlassenschaften wie das Stadion und das römische Amphitheater und schlendern gemütlich durch die sehenswerten Gassen der europäischen Kulturhaupstadt 2019. Als besonderes Highlight möchte ich auch noch die ostalgischen Zink-Aschetonnen erwähnen, die es Ina so angetan haben – ich weiß nicht, was da schief gelaufen ist! Jedenfalls ist so ein freier Tag immer wieder willkommen, da kann man endlich mal die Seele baumeln lassen. 😉

     

     

    Stadtbummel durch Plowdiw

Die nächste Station auf der Via Diagonalis ist die bulgarische Hauptstadt Sofia, die nur drei Radtagesreisen entfernt liegt und uns bewusst macht wie klein doch die Länder in Europa sind. Sofia empfängt uns mit sowjetischem Ostblockcharme und das ist keineswegs abwertend gemeint. In den breiten Alleen und zwischen den monumentalen Gebäuden scheint sich die alltägliche Hektik westlicher Großstädte zu verflüchtigen. Vielleicht liegt das aber auch an der Ruhe des Alters, denn die Stadt kann neueren Funden zufolge auf eine 8.000 Jahre lange Besiedlungsgeschichte zurück blicken, was sie zu einer der ältesten Siedlungsplätze Europas macht. Da kann man sich wahrlich  mal entspannt zurück lehnen. Auch wir entspannen ENDLICH mal wieder und durchstreifen in aller Ruhe auf und ab und quer und krumm das Zentrum der Stadt mit all seinen Sehenswürdig- und Köstlichkeiten.

     

     

Sofia

Nach so viel Kultur wird es wieder mal Zeit etwas Rad zu fahren. Von Sofia aus geht es hinauf in das Balkan-Gebirge, genauer gesagt auf den Petrohan-Pass auf 1.444m – nicht gerade ein Killer, aber immerhin etwas Ausarbeitung nach all der Ruhe und auch eben auch eine schöne Zahl. Das Aufstiegserlebnis wird leider im wahrsten Sinne des Wortes getrübt, denn wir werden in Bulgarien zunehmend von hässlichem Regengüssen heimgesucht und auch das ein oder andere Gewitter weicht uns regelmäßig ein. Wenigstens werden Räder und Fahrer so ordentlich durchgespült und es muss auch weniger Wäsche gewaschen werden. Das spart Energie! Energie sparen wir auch auf der Abfahrt, denn zum Glück trocknet der kalte Wind die Klamotten gleich wieder und wir sparen uns den Wäschetrockner. Als Belohnung gibt es dann blaue Lippen und eine heiße Hühnersuppe zum Auftauen hinterher.

In der kleinen Stadt Lom erreichen wir die Donau, welche hier die Grenze zu Rumänien markiert. Der Fluss wird uns nun für viele Kilometer mindestens bis nach Belgrad begleiten. Ein paar Kilometer die Donau entlang kommen wir nach Vidin, wo wir der mittelalterlichen Burg „Baba Vida“ einen Besuch abstatten. Der Legende zufolge verteilte einst ein bulgarischer Zar seine Ländereien auf seine drei Töchter. Zwei Töchter heirateten jeweils einen Trunkenbold, während die dritte „Wida“ unverheiratet blieb und die Festung errichten ließ, die seitdem „Oma Wida“ genannt wird.

„Oma Wida“

Eine halbe Tagesreise weiter erreichen wir auch schon die Grenze zu Serbien – auf beiden Seiten des Grenzstreifen passieren wir unscheinbare Grenzposten und haben so die EU auch schon wieder verlassen. Serbien empfängt uns kurz nach der Grenze mit einem kleinen schicken Städtchen namens Negotin. Zahlreiche gut gepflegter Häuser, eine hübsch hergerichteter Marktplatz und jede Menge deutsch sprechende Serben finden sich hier – allein rund um den Marktplatz Negotins werden wir vier Mal auf deutsch angesprochen, was unseren Besuch erheblich verlängert. Durch die wirtschaftliche Stagnation Jugoslawiens in den 1960ern und 1970ern kam es zu einer Auswanderungswelle Richtung Westeuropa, ein großer Teil der Gastarbeiter ging damals auch nach Deutschland. Diese

Migrationsprozesse förderten die kulturelle und wirtschaftliche Nähe Serbiens bzw. ehemals Jugoslawiens zu Westeuropa und trugen auch dazu bei, dass sich das Jugoslawienbild der Westeuropäer veränderte – in vieler Hinsicht zum Positiven. Viele der Migranten unterstützten finanziell ihre in der Heimat gebliebenen Familien, was die Wirtschaft teilweise stabilisierte. In dieser Hinsicht zeigen sich Parallelen zur heutigen Flüchtlingssituation und führen uns vor Augen, dass eine humane Flüchtlingspolitik nicht nur den Flüchtlingen hilft, sondern auch die Situation der Familien in den Herkunftsländern verbessern kann.

     

Donauradweg Eurovelo 6

Immer an der Donau entlang radelnd treffen wir nun mehrfach täglich westeuropäische Radreisende, in der Regel in entgegengesetzte Richtung kurbelnd. Dabei begegnen wir auch dem bisher jüngsten Alleinreisenden seit unserem Start vor über drei Jahren. Gerade mal 16 Lenze zählt Cyprian, in den Schulferien unterwegs von der Schweiz ans Schwarze Meer, selbstverständlich mit selbst erarbeitetem Geld. Wir sind echt beeindruckt und wünschen ihm alles Gute!

Nur drei Tage sind wir in Serbien an der Donau unterwegs, da erwartet uns mit Belgrad schon die nächste Metropole. Auch hier lassen wir natürlich die Seele baumeln, schlendern durch die Stadt und haken Sehenswürdigkeiten ab. Wir haben sogar die Muse zwei Museen zu besuchen und einen Blogpost zu schreiben. Unglaublich, oder? 😉

Wie´s weitergeht? Tja, das wüssten wir auch gerne. 😀 … Wir werden Euch auf jeden Fall berichten. Also bleibt aufmerksam und auf Empfang!

Euer Mirko

Gesamtstrecke: 57.377km

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3 Gedanken zu „Istanbul, Türkei – Belgrad, Serbien“

  1. oha,
    vielen dank für mal wieder erleuchtende momente beim lesen eures berichts! der officer hätte in seiner naiven art und weise bspw. den belgrader wald im umfeld von belgrad vermutet … wieder was gelernt 😉 heißt der wald vor den toren von belgrad dann eigentlich istanbuler wald? hast du die beiden äpfel eigentlich alleine verputzt oder deiner begleiterin einen abgetreten? die lagen ja auf deinem sattel, da hat sich der spender sicher was dabei gedacht … ach du schreck, bald seid ihr einmal rum, krasser sch…. wir freuen uns auf das wiedersehen!!!

    LG, gehabt euch wohl und passt auch an der donau weiterhin gut auf euch auf,
    der officer samt sippe

    @namens-link: wirklich toll wie sich unser verfassungsschutz-präsident persönlich engagiert … und das in seiner stellung

  2. Hurra, bald seid ihr zu Hause!!!
    Wir freuen uns ganz, ganz sehr, euch endlich in die Arme zu schließen.
    Wir erwarten euch alle, es ist nur schade, dass wir so gar keine Ahnung haben, wann und aus welcher Richtung ihr so angerollt kommt.

    Aber bis dahin gönnen euch natürlich die letzten Tage auf eurer großen Tour, die hoffentlich auch ein klein wenig Urlaub vom Urlaub werden ?!

    Euer Blogeintrag incl. Bilder haben uns wieder so richtig mittendrin sein lassen, spitze!!!
    Könnt euch ja schon mal via Internet einen Verleger fürs Buch
    suchen.

    Also dann bis bald, die paar Tage schaffen wir jetzt auch noch.

    Bleibt gesund und passt weiter auf euch auf

    die Ellis aus Silberstraße

  3. Hallo Ihr beiden Rad Nomaden,

    nun ist Land Nummer 38/1 schon fast in Sicht. Im letzten Blogpost ist die Kommentar Funktion wohl ausgeschaltet.
    Daher auf diesem Weg für die restlichen Tage noch einmal alles Gute und eine „sanfte“ Landung in der Heimat. (Gibts da Details?)
    Ich denke, dass das eine ganz ungewohnte Herausforderung für euch werden wird, die Ihr aber sicher auch meistern werdet.
    Alles Gute von uns dreien!

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