Taschkent, Usbekistan – Chudschand, Tadschikistan

Nach den vielen Radreisegeschichten, die ich mir angehört, angesehen und angelesen hatte, beginnt nun meine eigene erste Fernradreise. Ich hatte Vorfreude, (Mirko und Ina sicher auch) war aber nie wirklich aufgeregt, was denn da auf mich zukommen sollte. Kurze Aufregung gab es nur durch einen Anruf des Autovermieters 12 Stunden vor der Abfahrt mit der Mitteilung, dass das reservierte Fahrzeug nicht zu Verfügung stehen würde. Zum Schluss hatten wir aber ein großes Auto, in dem wir 3 Fahrräder, Gepäck und natürlich uns untergebracht haben. Den Abend vor dem Abflug verbrachten wir bei Johannes in Frankfurt. Ein schöner Start im Vorfeld, schließlich mussten wir ja noch in Mirkos Geburtstag reinfeiern.

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Die Flugzeit überbrückten wir mit Film schauen und Essen, bevor wir kurz vor 21 Uhr Ortszeit in Taschkent landeten. Bei 25 Grad Außentemperatur verließen wir den Flughafen auf der Suche nach einem Taxi. Wobei Suchen nicht das richtige Wort ist, denn sofort stürzten sich 6 bis 10 Taxifahrer auf uns. Wir benötigen mit all unserem Gepäck ein großes Taxi, was in Usbekistan aber egal ist, denn irgendwie wird alles verstaut. Am Ende wurden die 3 Radkartons mit Stricken auf dem Dach der Mittelklasselimousine verzurrt, ebenso wie das Gepäck mit Stricken im offenen Kofferraum fixiert wurde.
Angekommen im sehr schönen Hostel Top Chan ließen wir Mirkos Geburtstag mit einer kleinen 2L-Flasche Bier in der lauen Frühlingsnacht ausklingen. Bevor es auf’s Rad gehen sollte, hieß es die Sehenswürdigkeiten Taschkents zu erkunden. Nach 2 km Fußweg durch dauerhupende Fahrzeugmassen kamen wir an der Metrostation an. Für 10 Cent pro Person fuhren wir als Erstes zum Basar.

Ein unvorstellbar riesiger Markt mit schier unendlich vielen Händlern, die Waren aller Art verkaufen. Gewürzduft stieg in unsere Nasen und wir schlenderten vorbei an frischem Obst und Gemüse, Reissäcken, Ölen, Stoffen, Besen, Fleisch- und Nuss-Ständen. Mit der Metro ging es weiter zum Amir-Temur-Denkmal, weiter zu Fuß durch einen sehr schönen Park, in dem Mirko eine Geburtstagspizza spendierte. Nach der Besichtigung einer riesigen neuen Moschee, vor der wir direkt von einem kirgisischen Germanistik-Studenten angesprochen wurden, kauften wir auf dem Basar unsere erste Wegverpflegung, bevor es in einer einheimischen Lokalität unser erstes usbekisches Abendessen gab.

Am nächsten Morgen starten wir nach dem Radzusammenbau aus Taschkent heraus, teils auf Radwegen, teils auf 4spurigen Hauptverkehrsstraßen. Irgendwann biegen wir auf ruhige Nebenstraßen ab. Es gibt das erste „Somsa“ – Blätterteig gefüllt mit Fleisch, welches in kleinen selbstgebauten Öfen direkt am Straßenrand gebacken wird. Gut gestärkt geht es ohne Höhenmeterzunahme weiter, abwechselnd zwischen Schotter- und kleinen Nebenstraßen. Überall wird man freundlich gegrüßt und beobachtet. Bei einer Eispause bekommen wir die erste Einladung zum Übernachten, ein Englischlehrer lädt uns ein. Da es aber noch recht zeitig ist, lehnen wir ab… und ärgern uns wenig später darüber. Auf der Suche nach einem Wildcampingplatz werden wir noch zweimal von örtlichen Bauern auf Eselskutschen oder von Kuhhirten eingeladen. Es gibt hier keine Ecke, wo man allein ist. Selbst im letzten Zipfel eines Feldweges trifft man noch auf Einheimische, die ihrer Feldarbeit bis zum Sonnenuntergang nachgehen.

Am nächsten Morgen biegen wir nach einigen Kilometern auf die Autobahn ab. Klingt komisch, ist aber so. Aus Mangel an Straßen fährt hier fast alles auf der Autobahn: Eselkarren, um das Doppelte überladene LKW’s und neben Autos auch Radfahrer. Die Autobahnen sind aber nicht mit unseren vergleichbar. Es gibt Fußgängerüberwege, wo Ortsbewohner von links nach rechts wechseln und zwischen der Betonleitblanke auf eine Lücke im Verḱehr warten. Auch Linksabbiegerspuren sind normal, da spart man sich den teuren Brückenbau. Von den riesigen Schlaglöchern, die stellenweise wie Minenfelder wirken, ganz abgesehen. Ich denke, eine Autowerkstatt, die sich auf Reifen und Stoßdämpfer-Service spezialisiert, könnte hier eine Goldgrube sein.
Die Tage wechseln zwischen Autobahnfahrten, Landstraßen die plötzlich zur Schotterbuckelpiste werden und Übernachtungen in Hotels und Wildcamps ohne nennenswerte landschaftliche Höhepunkte. Dieses Einerlei gleichen die Begegnungen mit der sehr netten usbekischen Bevölkerung aus. Als uns im Niemandsland die Vorräte ausgehen, biegen wir in ein winziges, dem Augenschein nach recht armes Dorf ab. Natürlich sind wir direkt der Mittelpunkt. In einem kleinen 10 m² Lädchen möchten wir Wasser und Essen kaufen. Zum Essen werden wir direkt ins Hinterzimmer geleitet, wo uns frischer Salat, ein ganzes Suppenhuhn und eine Kanne Tee serviert werden. Bemüht um unser Wohl wird sich immer wieder versichert, ob wir auch wirklich satt sind.
Nach einer weiteren Hotelübernachtung in Jizzax mit Burger- und Pommes-Abendessen muss ich das Frühstück ausfallen lassen. Irgendwas hat mein Magen den Tag zuvor für nicht verträglich gehalten. Ich wechsel auf der Toilette zwischen knien und sitzen. Wir beschließen trotzdem weiter zu fahren, allerdings benötige ich alle 5 km eine 15minütige Pause. Unterwegs treffen wir die ersten Reiseradler: Uwe und Stefan aus Deutschland, beide 63 Jahre alt, verbringen ihren Jahresurlaub mal eben in Usbekistan auf dem Rad. Herrlich nette Jungs! Wir hoffen, ihr hattet noch tolle Tage im Sattel!

Nach 40km brechen wir den Radtag ab und campen neben der Autobahn zwischen Bäumen und Sträuchern, aber endlich mit Bergblick. Am nächsten Morgen geht es mir etwas besser und das Wetter ist auf unserer Seite, Rückenwind. 60 km Autobahn bis Samarkand inklusive Rückenwind fühlen sich richtig gut an. Wir rollen direkt durch Samarkands Sehenswürdigkeiten in die Stadt ein. Der nächste Tag startet mit den Sehenswürdigkeiten Samarkands. Wir besuchen die Bibi Khanum Moschee, die Stadt der Toten, eine Ansammlung von 11 Mausoleen, und den Hazrati Hizr Komplex. Zum späten Mittag landen wir chillig im Restaurantgarten unterm schattigen Bambusdach.

Leider erhalten wir dann noch die Nachricht, dass wir die Grenze zwischen Tajikistan und Kirgistan wegen eines militärischen Konfliktes wohl nicht passieren können. Somit wäre für uns der Pamir- unsere vorgesehene Route – eine Sackgasse. 3 Wochen auf 4600HM radeln um am Ende umzukehren?
Wir recherchieren und holen uns mehr Informationen zum Grenzübertritt. Aber leider bestätigt sich der Verdacht mit jeder Nachfrage mehr. Jetzt heißt es umplanen. Als Erstes fahren wir mit dem Zug für 2 Tage nach Bukhara, eine sehr, sehr alte und gut erhaltene Stadt mit Kuppelmärkten, Mosheen, Medresen und einer alten Festung.
Nach 3 Stunden Rückfahrt im vollen, unklimatisierten Zug soll es nach 4 Tagen ohne Rad fahren am nächsten Tag weiter gehen. 40 km östlich von Samarkand erreichen wir die Grenze zu Tajikistan. Nach der Gepäckkontrolle erwartet uns Tajikistan mit einem Gewitter. Dunkle Wolken, Blitz und Donner sind die Begrüßung, aber auch eine tolle Asphaltstraße, wenig Verkehr, beeindruckende schneebedeckte Gipfel und nette Menschen. Wir treiben das Gewitter vor uns her und bekommen nur vereinzelt ein paar Tropfen ab. Unterwegs treffen wir zwei weitere Reiseradler, Regula und David aus der Schweiz, auf Weltreise. Nach kurzer Zeit und regem Austausch trennen sich unsere Wege schon wieder, aber eine Idee hat sich in Mirkos Kopf nach dem Gespräch festgesetzt:

Bei der ersten Pause am nächsten Tag schlägt Mirko einen Abstecher ins Fann-Gebirge mit Wanderung vor. 1300 HM wären mit dem Rad zu bewältigen, was sich erst mal nicht so schlimm anhört. Auf 2200 m Höhe würde uns eine Berghütte erwarten. Gesagt, getan verlassen wir unsere Route und biegen in ein herrlich grünes Tal mit guter Straße ein. Kilometer für Kilometer tauchen wir tiefer in diese wunderbare Landschaft ein, nur die Höhenmeter steigen recht langsam, was nichts Gutes erahnen lässt. Bei einer schattigen Mittagspause bekommen wir vom naheliegenden Bauern, der uns bemerkt hat, kalten Kefir mit einer Schale Sauerkirchen gebracht. Gut gestärkt rollen wir das Tal hinauf, die Asphaltstraße wird irgendwann zum gut fahrbaren Schotterweg. Durch kleine Dörfer, vorbei an Bauern, Frauen die im Fluß Wäsche waschen und Kindern auf Eseln, kommen wir an einem Schotterweg mit kleinen Steinmauern links und recht an. Ein paradiesischer Blick auf saftig grüne Wiesen und die Berge. Leider beginnt ab hier aber auch unser Leiden. Für die letzten 4 km benötigen wir knappe 3 Stunden. Wir schieben die Räder immer zu zweit über steile Schotterrampen. Kurz vor 19 Uhr erreichen wir das Alpenlager Artuch, natürlich nicht ohne die letzten Meter zu schieben. Wir beschließen kein Zimmer zu nehmen, sondern bauen unsere Zelte auf der Wiese auf.
Nächster Morgen: das Frühstück mit Spiegelei, Würstchen und Brot soll uns genug Kraft für den Wandertag in der Serafschan-Bergkette geben. 1000 HM bis zum Chukurak-Pass mit Blick auf die Berge rund um den Kulikalon stehen an.
Steil, aber laufbar klettern wir zwischen Bäumen, Bachläufen Richtung Pass. Ein erster kleiner Bergsee mit Bergpanorama macht die Strapazen vom Vortag schon fast vergessen. Stück für Stück, vorbei an kleinen Schneefeldern kommen wir dem Pass auf 3200 HM näher. Endlich oben angekommen, erhalten wird den Blick auf die leider nur halbvollen Seen, aber immer noch beeindruckend sind wir von noch viel höheren mit Schnee und Eis bedeckten Bergen umgeben. Ein Moment zum Innehalten und Genießen.
Auf dem Weg nach unten halten wir unsere Füße noch kurz in einen der halbleeren Seen.

LG René

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13 Gedanken zu „Taschkent, Usbekistan – Chudschand, Tadschikistan“

  1. Da habt ihr ja schon ordentlich was zu sehen bekommen. Ja die kleine Abstecher sind das Beste. Weiterhin viele schöne Erlebnisse wünschen Christine und Walter.

  2. Wir freuen uns wieder etwas von euch zu hören. Auch die Ersatzroute wir euch bestimmt viele Höhepunkte und tolle Erlebnisse bieten. Wir wünschen euch eine gute Weiterreise und.freuen uns schon auf die nächsten Reiseberichte. Liebe grüße von Balazs und Kristina.

  3. Hallo ihr drei Radler,
    mit jedem gelesenen Satz sind wir unwillkürlich mit auf’s Rad gestiegen und fühlten uns mental bei euch. Eure Eindrücke waren einfach so nah beschrieben, Rene` – Spitze !
    Die Bilder zeigen, was ihr an Schönem bis hin zu Anstrengendem erleben durftet.
    Ja, es ist eben eine Erlebnistour!
    Radelt nicht zu schnell weiter, damit euch der Gegenwind nicht vom Sattel pustet und bleibt vor allem gesund.
    Bis bald via Skype
    Liebe Grüße von Peter und Burgl

  4. Schön von Euch zu hören und beeindruckende Fotos zu Gesicht zu bekommen.
    Ein wunderbarer Reisebericht!
    Weiterhin viele erlebnisreiche Kilometer und liebe Grüße aus Pleißa von Carlotta, Jens und Nadja.

  5. Ein schöner Bericht und tolle Bilder, danke René.
    Weiterhin viel Spaß und schöne Erlebnisse, euch Dreien.
    LG Claudia und Max

  6. Soooooo schön, wieder von euch zu lesen!
    Ersatzroute hin oder her – es wird sicher wieder ein unvergessliches Erlebnis. Lasst es euch gut gehen und genießt jeden Augenblick. Freue mich jetzt schon, darüber zu lesen 😉

  7. gut zu wissen, dass es euch gut geht irgendwo da unten! und wie kommt ihr denn zu dritt klar? helfen dir die beiden beim zeltaufbau oder sitzen die dann schon beim essen und geben hinweise? so oder so viel spass weiterhin und immer genug luft im reifen!

    1. Hallo Tweety,

      Mutti und Vati machen hier alles für mich während ich den Scmetterlingen hinterher hasche. Zum essen sitze ich aber immer pünktlich am Tisch. Ab und zu zu darf ich an Vatis Bier nippen, das darf Mutti aber nicht wissen. Ansonsten ist es ein sehr harmonischer Familien Urlaub ohne Quälerei meinerseits. Jetzt muss ich aber ins Bett damit es so harmonisch bleibt.

      1. Hallo Tweety,

        Mutti und Vati machen hier alles für mich während ich den Scmetterlingen hinterher hasche. Zum essen sitze ich aber immer pünktlich am Tisch. Ab und zu zu darf ich an Vatis Bier nippen, das darf Mutti aber nicht wissen. Ansonsten ist es ein sehr harmonischer Familien Urlaub ohne Quälerei meinerseits. Jetzt muss ich aber ins Bett damit es so harmonisch bleibt.

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