Im Wechselbad der Gefühle
Lange habt Ihr nichts von uns gehört, doch die endlosen Steppen von Kasachstan, die Halbwüsten von Xinjiang und die Einsamkeit des kasachischen Altai bieten wahrlich in vielerlei Hinsicht kaum Zugang zum www. Langweilig war uns jedoch nicht, auch wenn es meditativ lange Strecken von Nichts gab.
Mit der Hoffnung auf Erfrischung heißt unser erstes Etappenziel, als wir Almaty am 14. Juli verlassen, Qonajew, ein beliebter Badeort der Almatiner, gelegen am Kaptschagai-Stausee. Der Strand dort entpuppt sich als kasachischer Ballermann, die Wassertemperatur als Badewanne und der See als flach wie der Balaton. Kein Grund für uns länger als einen Badestopp zu verweilen. Unser weiterer Weg führt zur chinesischen Grenze bei Korgas über den Halbwüsten-Nationalpark Altyn-Emel. Das Klima ist nach wie vor heiß und trocken bei brachialen Tagestemperaturen um die 39° Celsius. Jede Erfrischung und jeder Schatten ist herzlichst willkommen. Umso schöner, dass die wenigen Orte unterwegs meist eine kühle Quelle und einige Bäume haben, wahre Oasen in der kargen Steppe. Im nahezu einzigen Ort des Altyn-Emel, Basshi, übernachten wir an der Rangerstation in der Hoffnung, dort am nächsten Tag eine Mitfahrgelegenheit zur „Singing Dune“ zu ergattern, denn 100kmh Hin- und Rückfahrt durch die Halbwüste sind selbst uns zu viel. Doch leider ist der kommende Tag ein Montag und damit quasi kein Besucherverkehr. Mehr als eine netter morgendlicher Plausch mit ein paar kasachischen Besuchern, deren Auto leider nur noch einen freien Platz hat, ist leider nicht drin.
Also zurück auf die brandheiße Straße und auf nach Korgas. Unsere Gedanken kreisen nun oft um die uns bevorstehende Etappe durch China. Durch Erfahrungsberichte anderer Reiseradler sind wir etwas – sagen wir mal – vorgespannt und meine eigenen Reiseerfahrungen leider schon verjährt. Am 19.07. reisen wir im Land der Mitte ein. Die gesamte, stets freundliche Grenzprozedur vollzieht sich in 18(!) Akten. Mehrfache Gepäckkontrollen, Gesundheitscheck, Check des Gesundheitscheck, Passkontrollen … und dann endlich der finale Einreisestempel – wir haben es geschafft! Wir dürfen die Grenze sogar mit dem Fahrrad überqueren, eigentlich so gar nicht üblich. Aber mit unserer bewährten Mischung aus Dumm stellen, natürlicher Naivität, bezauberndem Charme und einer ordentlichen Portion Trotz scheint alles möglich. 😉
Korgas, auf der kasachischer Seite eher ein funktionaler Grenzübergang, ist auf der chinesischen Seite ein protziger Abfertigungskomplex auf der Route der neuen Seidenstraße („One belt, one road“) inklusive brandneuer Stadt. Alles ist da: vierspurige Strassen, breite Radwege, Parks, Spielplätze, Wohnviertel und Geschäftshäuser. Nur eines fehlt: Menschen! Die halbe Stadt ist wie leergefegt und gleicht einer niegelnagelneuen Geisterstadt. Wie sich herausstellen wird, gleichen sich die meisten Städte auf unsere Reise durch China in dieser Hinsicht. Außerdem gibt es auf unserer Tour entweder Stadt besagten Typs oder Nichts; dörfliches Leben begegnet uns nur äußerst selten.
Unsere erste Nacht verbringen wir nach einem leckeren chinesischen Abendessen – darauf hatten wir uns schon lange gefreut, im chinesischen Standardhotel. Interessant an dieser Stelle: die fünfte Etage scheint Touristen vorbehalten und Zimmernummer 505 den Ausländischen, in drei von sechs Übernachtungen wurde uns diese Nummer zugeteilt. Alles aber vielleicht auch Zufall, obwohl in China diesem vermutlich wenig bis nichts überlassen wird.
Von Korgas aus strampeln wir auf bestens ausgebauter Straße hinauf zum Sayram-See. Wir folgen dabei der G30, einer der längsten Fernstraßen Chinas, über 6.000km lang und über 1.800 Brücken schlagend. Die Straßen, meist mit breiten Seitenstreifen oder Radspur, und die rücksichtsvollen Autofahrenden sind ein wahrer Traum für jeden (Straßen-)Reiseradler. Ein Albtraum dagegen sind die permanenten Polizeikontrollen: Reisepass!, woher, wohin, wie lange, wann, wieso, weshalb, warum, wo, seit wann, bis wann, ich muss einen Kollegen anrufen (und warten bis er zurückruft), Fotos, Videos und dann irgendwann … Weiterfahren. Insgesamt werden wir in 12 Tagen 18 mal überprüft. Wir fühlen uns komplett getrackt und es ist nicht immer einfach eine freundliche Haltung zu bewahren, die uns von der Gegenseite jederzeit entgegengebracht wird.
Nach vielen Tagen karger Landschaft ist die Fahrt zum Sayram-See Balsam für‘s Gemüt. Wunderbare Straße, baumbestandene Berghänge und wild blühende Wiesen. Herrlich, traumhaftes Camping inklusive!
Neben uns schlängelt sich wie auf einer Perlenschnur aufgefädelt die Kolonne aus Inlandstouristen um den See und macht Selfies mit der Blumenpracht.
Leider geht es nach dem lieblichen See wieder durch Halbwüste und Steppe. Die Landschaft wird karg und die Temperaturen steigen wieder. Als Trost haben wir leckeres Essen, die preiswerten Standardhotels mit Klimaanlage und Dusche und lonely wildcamping. So schlagen wir uns über die Berge und Täler von Börtala über Alashankou nach Toli nach Tiechanggou nach Hoboskar und schließlich nach Jeminay durch.
Ab Toli nimmt die Überwachung leider groteske Züge an. Nachdem wir um 22:00 Uhr von Autoritäten in Zivil befragt werden (die üblichen Fragen siehe oben), werden wir am nächsten Morgen bereits beim Auschecken aus dem Hotel von diesen erneut erwartet. Ab da fühlen wir uns verfolgt und verlassen die Stadt, uns ständig umschauend. Doch zum Glück ist niemand zu sehen. Leider haben wir uns da zu früh gefreut, ab dem nächsten Ort werden wir plötzlich von einem radfahrenden Polizisten in Zivil begleitet und kurze Zeit später gesellen sich ein weiterer Radfahrer sowie ein Polizeiwagen hinzu. Erst schauen wir uns das Treiben noch belustigt an, besonders weil die Radbeamten schon nach kurzer Zeit völlig fertig sind, aber nach einer Weile nervt die Begleitung dann doch. Wir beschließen den Beamten höflich mitzuteilen, dass wir keine weitere Begleitung wünschen und siehe da, das Fahrrad wird in den Wagen gepackt, dieser in drei Zügen gewendet und weg sind sie. Die spinnen, die Chinesen! Seit diesem Erlebnis haben wir allerdings die Nase ziemlich voll, unsere Offenheit weicht permanentem Misstrauen allem und jedem gegenüber. Wir wollen nur noch weg.
Am entlegenen Grenzposten bei Jeminay verlassen wir China dann doch noch mit einem positiven Erlebnis. Der Grenzposten ist offiziell nur mit einem Fahrzeug passierbar, wozu Fahrräder hier nicht zählen. Das heißt, eigentlich hätten wir 30km vorher in einen Bus steigen, am Grenzposten aussteigen, ausreisen und wieder einsteigen müssen, um uns über den Grenzstreifen nach Kasachstan fahren zu lassen, um dort einzureisen (wir sprechen hier von weniger als einem Kilometer zwischen den beiden Ländern!). Doch bei all der gefühlten Schikane liegt den Beamten – so wird uns gegenüber regelmäßig beteuert – nur unser Wohl am Herzen. Und da wir mit unseren Fahrrädern nun schon am Grenzposten stehen, werden wir trotz abweichender Vorschrift nach einiger Wartezeit abgefertigt und dürfen mit dem Rad die Grenze überfahren. Wie großartig! Wir verlassen das Land zwiegespalten – „das Gegenteil von Gut ist gut gemeint“ singen Kettcar. Leider reicht der Platz hier nicht aus, um all die Erlebnisse, Begegnungen und vor allem die gefühlte Andersartigkeit zu beschreiben. Uns wird das Erlebte jedenfalls noch einige Zeit beschäftigen.
Und dafür bieten die Weiten Kasachstans genug Raum. Nach den Steppen und Wüsten Chinas sind wir zurück in der kasachischen Steppe. Wir freuen uns auf einen Klimawechsel, denn vor uns liegt das mythische Altaigebirge. Für Buddhisten liegt am Doppelgipfel der Bjelucha ein spirituelles Zentrum der Welt. Für die schamanische Naturreligion des Tengrismus ist sie der Sitz der Urmutter Umaj. Schon die alten Skythen begruben ihre Fürsten und Könige hier.
Doch bevor uns die Wälder der Berghänge umarmen, schwitzen wir uns durch die glühenden Ebenen der Zaysan-Senke. Über den Marmorpass mit spektakulärem Ausblick auf die weiße Wüste Aqqum im Süden lassen wir die Steppe vorerst endlich hinter uns. Mildes Klima, urwüchsige Wälder, üppige Wiesen und verträumte Bergbäche begleiten uns auf dem Weg zum Markaköl. Die Natur wird nur selten von menschlichen Niederlassungen in Form von typisch russischen Holzhäusern unterbrochen. Die Menschen hier leben hauptsächlich vom Holzeinschlag, der Jagd, Imkerei, Viehzucht und dem Kartoffelanbau. Am Bergsee Markaköl schlagen wir für zwei Tage unser Lager auf, um uns von den Strapazen und der Hitze der letzten Wochen zu erholen.
Direkt vor uns liegen nun 1.600 Kilometer Altai, von den kasachischen Berghängen, über die sibirische Taiga bis zu den mongolischen Hochebenen.
Wir freuen uns wie Bolle!
Strahlende Grüße aus dem Paradies senden Ina und Mirko 😀
Strecke gesamt: 4.760km
Hallo ihr Beiden,wir wünschen euch auf diesem Wege ein schönes Wochenende. Tausend dank für die wunderschönen Bilder aus der“großen weiten Welt“. Eure Berichte sind immer sehr informativ und bringen uns oftmals vergangenes Wissen zurück. Danke dafür. Wir wünschen euch eine gute und entspannte Weiterfahrt. Liebe grüße von den Ellies aus.L.-O. .Alles gute und bleibt gesund..
Hallo ihr 2, da habt ihr sehr diverse Erlebnisse in letzter Zeit gehabt. Nun stehen hoffentlich nur noch positive Erlebnisse bevor. Rene ist auch schon wieder mit dem Rad in Limbach. Heute finden die „nationalen Tischtennismeisterschaften“ in Pleissa statt. Ich wünsche weiterhin gutes radeln für euch und schicke Grüße aus Limbach. Christine
huhu ihr beiden,
gut zu wissen, dass es euch weiterhin gut geht! spannender bericht und super bilder, danke! wie habt ihr denn mit den chinesen kommuniziert? englisch? google-translate? wörterbuch? wie läufts ohne rené? @mirko-material: ist der umstieg auf das neue rad eigentlich gelungen oder denkst du manachmal an deinen alten esel? oder sind die unterschiede nicht ausschlaggebend? rené ist übrigens wieder gut daheim angekommen und um ihm die reintegration zu vereinfachen haben wir ihn beim musik-quis mit spanien-schwerpunkt gewinnen lassen 😉 ansonsten weiterhin alles gute und VG, mr. bird, der auch im namen der ganzen sippe grüßt!!!!
Hallo Birdys, da will ich doch mal die ein oder andere Frage beantworten :
Mit den Chinesen haben wir eigentlich gar nicht kommuniziert, die sind alle doof…. Spaß beiseite, wir haben eine Translation App genutzt und die hat auch ziemlich gut funktioniert.
Ohne René läuft es es natürlich viel schneller , macht aber nur halb so viel Spaß . Mit dem Umstieg auf die großen Reifen bin ich vollaufst zufrieden, nie wieder
Anders, Verbesserungen sind aber schon im Kopf, was aber der vielen Zeit zum Nachdenken geschuldet ist. Viele dieser Gedanken werden wahrscheinlich (vlt. auch hoffentlich) nicht umgesetzt .
LG Mirko