Kathmandu, Nepal – Rascht, Iran

Kontraste

Unter unseren protestierenden Blicken fliegen die Radkartons im hohen Bogen auf das sich hinter dem Check-In-Schalter auftürmende Gepäck. Es herrscht totales Chaos auf dem Flughafen in Kathmandu, auf dem es am Morgen einen Unfall gegeben hatte und wir haben geringe Hoffnung, dass unser Gepäck komplett und unversehrt am Zielort ankommen wird. Das Ziel heisst Mashhad im Osten des Iran. Fast 2 Wochen hatten wir auf das Iran-Visum gewartet, ohne das sich irgendetwas getan hätte. Nach einiger Recherche erfuhren wir, dass das von uns beantragte E-Visum gar nicht wie üblich im Vorfeld ausgestellt wird, sondern dass die Antragsnummer unseres E-Visum lediglich zur Beschleunigung des Visa on Arrival dient. Das ist alles ziemlich kompliziert und würde die Speicherkapazität unseres Blog-Host sprengen. Jedenfalls hätten wir gar nicht zwei Wochen warten müssen und reisen nun letztendlich ohne Visum, doch immerhin mit einer Nummer in der Tasche und einem mulmigen Gefühl im Bauch, in den Iran.

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Unsere Ankunft auf dem Flughafen Mashhad könnte gegensätzlicher nicht sein. In Kathmandu von Dreck, Menschenmassen und Chaos umgeben, erwartet uns hier ein riesiger, menschenleerer, sauberer und geradezu in andächtiger Ruhe liegender Flughafen. Unser erster Gang führt uns zum Visum-Schalter wo wir brav unsere Nummer vorzeigen und sogleich die obligatorische Bearbeitungsgebühr abdrücken dürfen. Ohne weitere Rückfragen präsentiert uns der freundliche Beamte nach einer halben Stunde stolz unsere beiden Pässe. Leider bekommt man bei einem Visa on Arrival nur 30 Tage Aufenthalt genehmigt, was für einen Durchquerung dieses Landes mit dem Rad recht knapp ausfällt. Zurück am Visumschalter versuche ich deshalb mein Verhandlungsgeschick und siehe da, trotz kurz aufflackerndem Protest schreibt uns der fast ausschließlich persisch sprechende Beamte handschriftlich 60 Tage Aufenthaltsgenehmigung in unser Visum. Das ist doch mal nett, oder? Freudig eingestimmt geht es nun zur nächsten Station, dem Gepäckband. Und auch hier werden wir positiv überrascht. Säuberlich beiseite gestellt, komplett und ohne einen Kratzer erwartet uns unsere Gepäck am Transportband als wäre es das Normalste der Welt. Nachdem uns der Zollmitarbeiter auch einfach nur durchwinkt, sitzen wir wenige Minuten später im kostenlosen Hoteltaxi und schiessen in atemberaubender Fahrt und den beiden Radkartons auf dem Dach über die breiten und wie leer gefegten Boulevards von Mashhad. Was für ein Empfang!

Wir freuen uns schon darauf auf unseren Rädern zu sitzen und endlich wieder unterwegs zu sein. Deshalb statten wir dem Imam-Reza-Schrein nur einen abendlichen Kurzbesuch ab. Der Name Schrein täuscht im Übrigen über die riesigen Ausmaße des Komplexes, bestehend aus Hallen, Höfen, einer Universität, einer Moschee und einem Friedhof hinweg. Bis zu 20 Millionen Gläubige pilgern jährlich an den heiligsten Ort Irans. Und wir sind mittendrin, natürlich nicht ohne Ina vorher mit einem Tschador vom Verleiher auszustatten und in ein paar Fettnäpfchen zu treten. So betreten wir zusammen eine Halle, die nur Frauen vorbehalten ist oder trinken am Trinkbrunnen ausgerechnet an der Stelle,die wiederum nur von Männern benutzt werden darf. Doch die amtlichen Sittenwächter sind nachsichtig mit den Neuankömmlingen aus der Ferne und weisen uns sehr freundlich und sanft auf unsere Verfehlungen hin, indem sie uns mit ihren Staubwedeln (Kein Scherz!) freundlich auf die Schulter tippen und uns in die richtige Richtung wedeln. Leider sind Kameras im Komplex verboten und die Fotoausbeute entsprechend niedrig. Ihr müsst also selbst hinfahren um die beeindruckende Architektur, die millionenfachen Spiegelmosaiken und die einzigartige Atmosphäre zu erleben.

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Imam-Reza-Komplex, Aussenansicht

 

Nach diesem Kurzbesuch sitzen wir nun endlich wieder auf unseren Drahteseln und genießen die Unabhängigkeit des Radreisens. Über kleine Nebenstrassen schlängeln wir uns aus der Stadt und als wir auf den unvermeidlichen Highway Richtung Gonbad-e Kavus abbiegen treffen wir auf die Radler Latifeh und Javad. Die beiden Iraner aus Mashhad sind den allerersten Tag auf ihrer geplant zweijährigen Tour durch Iran und Kleinasien unterwegs. Schnell entscheiden wir, die nächsten Kilometer zu viert zu bestreiten – für uns gibt es wohl kaum eine bessere Möglichkeit, dieses gastfreundliche Land kennen zu lernen. Im Austausch können Javad und Latifeh hoffentlich von unseren Erfahrung in Sachen Radreisen profitieren.

Gastfreundschaft wird im Iran sehr groß geschrieben und so übernachten wir die nächsten Tage oftmals bei Gastfamilien. Die erste Station ist Javads Schwester, bei der wir mit einem traditionellen Abendmahl verköstigt werden. Gereicht wird Polow bekannt auch als Pilaw, Plov oder Palau, welches aus Reis, Brühe, Fleisch und Gemüse zubereitet wird. Abendessen gibt es im Iran übrigens nicht vor 21 Uhr und auch allgemein sind die Tage sehr sehr lang. So besuchen uns nach dem Abendessen noch Freunde von Javad und wir quatschen bis spät in die Nacht und schauen nebenbei hochprofessionelle Hochzeitsvideos.

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Abendessen mit Javads Schwester samt Familie

 

Auf dem Weg nach Shirwan, unserem nächsten Zwischenstop, halten wir am alten Radakan Tower, der im Altertum dazu diente die Bewegung der Planeten zu berechnen. Der Weg nach Shirwan ist ansonsten vom Asian Highway 22 geprägt, der für die nächsten Tage unser Begleiter sein wird. Zum Glück ist dieser mit einem breiten Seitenstreifen ausgestattet und wir können so die kontrastreiche Landschaft aus braunen trockenen Bergen und saftig grünen Feldern genießen. Und weil das alles so schön ist, schlagen wir am Abend unser Zelt am Feldrand auf.

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Wir erreichen die kleine Stadt Shirwan am Nachmittag und werden von unserem dortigen Gastgebern Mohammad freundlich in Empfang genommen. Am Abend kommen wir erneut in den Genuss eines traditionellen Abendessens: Abguscht, eine persischen Schmorfleischsuppe. Der Kontakt zu unserer Gastfamilie kam über das auch im Iran verbreitete Instagram zustande, in dem unsere beiden Mitreisenden ebenfalls aktiv sind. Auch die nächste Übernachtung ist bereits „gebucht“ und so werden wir vier wie ein Staffelstab am nächsten Morgen an unseren nächsten Gastgeber Mohammad (dem Zweiten) übergeben. Dieser führt uns durch ein wunderschönes grünes, von Obst- und Weingärten gesäumtes Seitental in seinen Heimatort mit dem klangvollen Namen Hesar Pahle Vanloo. Dort besuchen wir Mohammads Großvater, der eine kleine Fischzucht betreibt. In logischer Konsequenz gibt es am Abend Lagerfeuer, Gitarrenmusik und gegrillten Fisch.

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Zu Gast bei Mohammad…

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…und Mohammad

Von dem kleinen abgelegenen Dorf geht es zurück auf den Asian Highway 22 und erneut durch reizvolle Landschaft. Vier Tage radeln wir nach Gonbad-e Kavus und übernachten beim Roten Halbmond (dem pendant zum Roten Kreuz), im Golestan Nationalpark oder auch schon mal in einem ziemlich belebten Freizeitpark. Unterwegs begegnet uns immer wieder die wirklich einzigartige iranische Gastfreundschaft – es vergeht kein Tag, an dem wir nicht zur Übernachtung eingeladen oder mit Geschenken erfreut werden. Von Wassermelonen, Orangen, kalten Getränken, Tagebüchern, Outdoor-Minisägen bis zu schwarzhäutigen Neujahrsfiguren ist alles dabei. Weit und breit nichts zu sehen hingegen ist von schwarzen Turban tragenden Mullahs, die mit schwingender Waffe USA-Fahnen verbrennen. Nein, dieses Stereotyp ist ganz klar der Kategorie Propaganda zuzuordnen! Nicht, dass der Iran eine Gesellschaft ohne Probleme und gebotene Kritik wäre, doch aus unser bisherigen Erfahrung ist dieses Land eines der gastfreundlichsten auf unser gesamten Reise.

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Am 1. Mai erreichen wir Gonbad-e Kavus und werden von Latifehs Familie empfangen als wären wir drei Jahre lang weg gewesen, dabei waren es zumindest in Latifehs und Javads Fall nur zehn Tage. Der Iran bietet aufgrund seiner zentralen Lage eine hohe ethnische Vielfalt. So leben hier zum Beispiel Kurden, Belutschen, Luren, Bachtiaren, türkisch sprechende Kaschgai oder – wie im Fall von Lathifehs Familie – Turkmenen. So haben wir nach Mohammad in Shirwan (Kurden) noch einmal die Möglichkeit das Alltagsleben dieser Volksgruppe erleben zu dürfen. Am Abend kochen wir gemeinsam ein typisch turkmenisches Gericht: Borek, mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen, die entweder im Ofen oder im heißen Fett ausgebacken werden. Sehr lecker, wenn auch zu fleischlastig für unseren Geschmack (wie ein Großteil der iranischen Küche). Doch so ist das ursprüngliche, und teilweise noch praktizierte, Hirtenleben in den großen Steppen und Halbwüsten dieser Welt. Zum Essen wird meist Dugh getrunken, eine leicht gesalzene Mischung aus Joghurt mit Molke und Wasser, welche bereits bei den Achämeniden bekannt war. Zur Krönung des Abends servieren mir unsere Gastgeber sogar eine Geburtstagstorte-Was für eine Überraschung! Obwohl ich vermute, dass da „jemand“ ihre Finger im Spiel hatte.

 

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Zu Besuch in Gonbad-e Kavus

Zur Gästebewirtung gehört im Iran auch, seine Gäste zu unterhalten. So finden wir uns am nächsten Morgen im Auto zum Khalid Nabi Friedhof wieder. Diese historische Stätte befindet sich in den weiter östlich gelegenen Gokcheh Dagh Bergen und es wäre maßlos untertrieben, die Fahrt nur als rasant zu beschreiben. Jetzt mal ganz ehrlich, liebe Iraner, ihr seid wirklich verrückt und es ist kein Wunder, dass ihr auf der Liste der Länder mit den meisten Verkehrstoten ganz oben steht. In diesem Zusammenhang ist mir übrigens auf unser Reise eines aufgefallen: Aus rücksichtsvollen und sozialen Menschen scheinen egoistische und rücksichtlose Wesen zu werden, sobald sie ein Auto besteigen. Wie kommt das und was macht das aus einer Gesellschaft? Diese Frage hat mich einige Zeit beschäftigt und ich stehe Euch, liebe Lesenden, für einen anregenden Ideenaustausch gern zur Verfügung.

Doch nun zurück zum Khalid Nabi Friedhof, dessen Grabsteine die Geschlechtsmerkmale der jeweiligen Verstorbenen symbolisieren. Interessant, wenn auch nicht wirklich aufregend, ganz im Gegensatz zu den für mich beeindruckenden Landschaften, die sich rund um den Friedhof und das Mausoleum von Khalid Nabi auftun. Bis zum Horizont breitet sich ein anscheinend aus Sand bestehendes und von riesigen Wellen überzogenes Meer vor uns aus.

 

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Khalid Nabi Friedhof

Zurück in Gonbad-e Kavus werden wir diesmal mit Manti, gedämpften Teigtaschen, verwöhnt. Wie Ihr vielleicht schon gemerkt habt, dreht sich im iranischen Kulturkreis viel ums Essen: Frühstück, Morgentee, Mittagessen, Nachmittagstee, Abendessen und noch mal Tee und Süssigkeiten gegen 23 Uhr sind der ganz normal Speisenmarathon und wir fühlen uns so manchen Abend rund wie die Buslenker. Nur ganz ohne Alkohol!

Drei Tage verbringen wir bei Latifehs Familie bis wir uns auch bei Javad und Latifeh verabschieden, die noch ein paar Tage mit der Familie verbringen möchten, was ich gut verstehen kann. Wir hatten eine wirklich tolle Zeit bei und mit Euch! Danke dafür! 🙂

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Auf ein Wiedersehen!!!

 

Für uns heisst es nun auf eigene Faust weiter zu ziehen, auf zum Kaspischen Meer, liegt dieses doch nur zwei kurze Radtage entfernt. Leider ist die Küste wenig berauschend, der Strand, oft von Hoteltürmen verbaut, ist häufig total vermüllt und auch die Küstenstrasse ist ziemlich langweilig. Links und rechts der Strasse reihen sich Modegeschäfte, Autohäuser, Fast-Food-Restaurant, Hotels und Möbelhäuser aneinander und werden nur selten von den Resten einstiger Siedlungen unterbrochen. Über dreihundert Kilometer lang ist dieses „Einkaufszentrum mit Autobahn“. Zu unserem Glück gibt es immer noch einen breiten Seitenstreifen für sicheres Vorankommen, meist kostenlose Camping- und Picknickplätze für erholsame Nächte und die nach wie vor gastfreundlichen Iraner für die Rundum-Sorglosigkeit.

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Entlang der Küste

 

Für Rundum-Sorglosigkeit sorgen auch Faraz, Masoume und ihre süsse Tochter Lena, die uns für ein paar Tage in ihr Heim in Rascht aufgenommen haben und uns ebenfalls mit iranischen Leckereien und einem Stadtbunmel verwöhnen. Von Rascht aus werden wir die Küste verlassen und in Richtung Berge abbiegen, für die Abwechslung. Wir sind schon gespannt, was uns dort erwartet und wie die Menschen hinter den Bergen ticken.

An dieser Stelle nochmal Tausend Dank für alle Einladungen, Geschenke, Speisen und Betten, ihr seid Spitze.

Gesamtstrecke: 52.855km

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3 Gedanken zu „Kathmandu, Nepal – Rascht, Iran“

  1. Hey ihr Nasen!
    Es ist schön, wieder etwas von Euch zu hören und mal wieder bestätigt zu bekommen, dass die iranische Gesellschaft vor Herzlichkeit nur so sprüht, während der staatstragende Ton ein ganz anderer ist.

    Schön, dass Ihr die Motivation zum Radeln nicht verloren habt und die Beine immer noch den verlässlichen Antrieb für die Drahtesel darstellen… (Muss wohl an Kette-links liegen ;-))

    Seid lieb gegrüßt aus dem Sauerland, wo der Alltagswahnsinn wieder dermaßen Überhand genommen hat, dass man sich verstärkt die Medien der großen Reise und somit die Erinnerungen ins Gedächtnis ruft!!!

    Bleibt gesund und munter, zieht durch und sammelt weiter fleißig EIndrücke! Wir folgen Euch! 🙂
    Tina & Thomas

  2. Na moin Ihr Zwei Herrlichen, mit Begeisterung folge ich Euren Blog und gratuliere zu dieser Ausdauerleistung . Insbesondere finde ich die aussergewöhnliche Sozialanalyse, dank herausragender Beobachtungsgabe, bemerkenswert. Ihr seid einfach das beste Beispiel für Völkerverständigung und einer entspannten Koexistenz der Völker und Religionen.
    Zum Schluss darf ich sagen: Ich find es einfach nur geil.
    Gruß von Sylvia, Dieter und Tino aus der Silberstrasse.

    Alles Gute und bis bald, Denis

    Alles Gute

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